Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
Birkhoff. Sie war eine Frau, und sie konnte vieles, das mich verletzte, nachvollziehen.
Als es auf Weihnachten zuging, wurde mir schwer ums Herz. »Wo wirst du Weihnachten verbringen?«, fragte mich Felixʼ Mutter eines Tages im Dezember.
Ich zuckte mit den Schultern und antwortete nicht. Aber die Tränen flossen unaufhaltsam. Ich konnte sie einfach nicht mehr zurückhalten.
Wenn Felixʼ Mutter eines nicht ertragen kann, dann ist es, andere Menschen leiden zu sehen. Ein Charakterzug, den sie ihrem Sohn weitergegeben hat und der die beiden absolut liebenswürdig und unentbehrlich macht. Spontan umarmte sie mich und drückte mich fest an sich. »Ach Kind! Ach Kind! So hör doch auf, zu weinen! Bitte! Du kommst zu uns, ja? Du bleibst doch nicht Weihnachten allein! Das passiert nicht! Mach dir keine Sorgen! So, und jetzt wisch dir die Tränen aus dem Gesicht, und sei wieder fröhlich!«
Ich war so dankbar. Ich war so unendlich dankbar. Weihnachten war mir ein Horror, und im Hause Birkhoff würde es bestimmt gemütlich sein. Ich liebte das alte Fachwerkhaus und liebte den großen Kachelofen im Flur. Er strahlte im Winter eine behagliche Wärme aus und verlieh dem Haus etwas Nestähnliches. Kein Wunder, dass Felix dieses Nest nicht verlassen wollte.
Ich merkte, wie der Neid auf die Mutter, die ihrem Sohn seit Jahrzehnten ein schönes Zuhause präsentieren konnte, größer wurde. Felix fühlte sich im elterlichen Hause deutlich wohler als in meiner Wohnung.
Wenn sich ein Mann bei Mama und Papa wohler fühlte als bei der Frau, mit der er schlief, dann konnte es mit der Liebe nicht weit her sein, dachte ich. Ich empfand ihn als echtes Muttersöhnchen, und er stand nicht loyal hinter unserer Beziehung. Und wieder eine Verletzung mehr auf dem Konto. Dass Felix im Betrieb seiner Eltern mit entsprechend viel Publikum aufgewachsen war, schlecht allein sein konnte und schnell das Gefühl hatte, eingesperrt zu sein, wusste ich nicht. Sein Leben lang war er es gewohnt, die Tür aufzumachen und im Freien zu stehen. Mit Hunden, Katzen und Pferden auf einem richtigen Bauernhof. Ein echter Landmensch eben! Meine Wohnung hatte weder einen Balkon noch einen Garten. Seine Art, für sich dieses Problem zu lösen, bestand darin, einfach nach Hause zu gehen.
Ich hingegen hätte es gern gehabt, ein einziges Mal nach Hause zu kommen und erwartet zu werden. Ein einziges Mal das schöne, doch leider so seltene Gefühl aus der Kindheit zurückzuholen, wenn es schon dunkel wurde und das Licht im Haus meiner Großmutter signalisierte, dass ich in jeder Beziehung ins Warme kam. Oma war immer zu Hause gewesen. Felix war nie zu Hause. Oma hatte mich immer erwartet. Felix erwartete mich nie. Er, der mich mit seiner gütigen Art so sehr an meine Oma erinnerte, reagierte aber nicht wie sie. In meinem Kopf und meinem Denken vermischten sich Vergangenheit und Gegenwart.
Felix mochte meine Wohnung nicht, die ich so sehr liebte. Felix erwartete mich nicht, also liebte er mich nicht. Felix verwöhnte mich nicht. Also liebte er mich nicht. Felix stand zu seinen Eltern. Also liebte er diese mehr als mich. Felix war illoyal. Bei mir kamen genau diese Botschaften an, und sie hatten nichts mit den wahren Gründen zu tun. Wir waren unfähig, diese Missverständnisse zu erkennen und aus dem Weg zu räumen. Dass ich mich nicht von Felix trennte, lag daran, dass er tatsächlich sehr viele Eigenschaften hatte, die ich schon an meiner Großmutter geschätzt hatte: Er war ausgeglichen. Er strahlte Ruhe aus. Er war nie launisch, und ich fühlte mich wohl in seiner Nähe. Er hörte mir zu. Er war bodenständig. Er war mit seiner Heimat verwurzelt. Felix ging nie an einem Bettler vorbei, ohne ihm einen Groschen in die Hand zu drücken. Das hört sich heroisch an, war und ist aber so. Felix glaubte immer an das Gute im Menschen. Und Felix hatte Mitleid mit den Bedürftigen. Und Felix hat, genau wie meine Oma, recht nah am Wasser gebaut. Bei rührigen Filmen heulen wir stets gemeinsam Rotz und Wasser. Gehässigkeit, Intriganz, Hinterhältigkeit. Das alles sind Attribute, die meinem Mann genauso fremd sind, wie sie meiner Oma fremd waren.
Ich hatte mir einen Mann ausgesucht, den mir mein Instinkt als gut verhieß. Mein Instinkt behielt Recht. Er hatte mich vor allen Männern geschützt, die nicht gut für mich gewesen wären. Und er hatte mich zu Felix geführt. Aber Felix war eine eigenständige Persönlichkeit, und er war Felix Birkhoff und NICHT meine Oma. Diese
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