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Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)

Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)

Titel: Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Birkhoff
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greifen brauchte und mich schnell umziehen konnte. Dann rollte ich mich auf die andere Seite des Bettes, denn meine Matratze und mein Oberbett waren ebenfalls schweißnass. Ich schrie in der Nacht und wachte von meinen eigenen Angstschreien immer wieder auf.
    Das Schlafzimmer war feucht und kalt, und es kümmerte meinen Vermieter nicht im Geringsten. Regelmäßige Rechtsanwaltsbesuche beim Mieterschutzbund begleiteten meine Ausbildung. Capriolas Sattel passte hinten und vorn nicht mehr. Er war derartig muskulös geworden, dass nur ein neuer Sattel hätte Abhilfe schaffen können. Wochenlang ritt ich mein Pferd ohne Sattel, weil ich einfach kein Geld hatte. Ein neuer Sattel hätte gut und gern eintausendfünfhundert Mark gekostet, und die hatte ich nicht. Das Auto muckte. Bei Frost bekam ich nach dem Öffnen der Fahrertür die Tür nicht mehr zu. Das Schloss rastete nicht ein. Ich knotete eine alte Jeans von innen an den Türgriff und presste das andere Ende zwischen meine Knie. Ständig drohte die Tür während der Fahrt zur Polizeischule aufzufliegen. Es konnte auf Dauer so nicht mehr weitergehen.
    Aber ich lebte, genau betrachtet, auch ein völlig normales Leben. Es war ein Leben, das man führt, wenn man erwachsen geworden ist und sich bewusst wird, dass man für jedes Kinkerlitzchen allein zuständig ist. Es war das Leben, wie es Hunderttausende in unserer Republik leben.
    Der einzige Mensch, der zu diesem Zeitpunkt nicht so lebte, war Felix. Er hörte sich zwar am Wochenende die Probleme an, aber dass ich Hilfestellung gebraucht hätte, diese Botschaft kam bei ihm einfach nicht an. Von meiner Vergangenheit wusste Felix bis zu diesem Zeitpunkt nur sehr wenig. Er wusste auch nicht, dass ich kurz vor Ostern eine tiefenpsychologische Analyse bei einem Therapeuten begonnen hatte. Und er wusste nicht, dass ich mich immer öfter mit Suizidgedanken quälte. Dass ich meine eigenen Schreie in der Nacht nicht mehr ertrug, dass ich den Druck in der Polizeischule nicht mehr ertrug, dass ich diese Leere in mir nicht mehr ertrug, dass mir mein Leben schlicht und ergreifend zu viel geworden war. Dass ich meines eigenen Lebens überdrüssig und müde geworden war. Lebensmüde eben. Meinen Schmerz über den Verlust meiner/einer Mutter hatte ich vielleicht bewältigt. Nicht aber den Verlust meiner Großmutter. Wie sollte ich auch?
    Dachte ich an Felix, dachte ich auch an sie. Er konnte mir aber nicht geben, was sie zu geben vermochte. Sie war meine Großmutter. Felix war mein Partner. Die so entstandene Lücke empfand ich als schmerzliche Leere. Je deutlicher ich spürte, dass ich vergeblich von Felix forderte, was Oma mir freiwillig gegeben hatte, je deutlicher diese Diskrepanz für mich wurde, umso mutloser wurde ich. Umso größer wurde das Loch in meiner Seele. Umso schmerzlicher wurden die Erinnerungen an meine Großmutter. Ich sah Felix und sah meine Großmutter. Die Todessehnsucht stieg im selben Maße, wie sich das Loch in meiner Seele vergrößerte.
    Felix und ich schlugen uns an den Wochenenden mit Banalitäten herum. Verstanden kein Wort voneinander und ließen dennoch nicht los voneinander. Stritten über Peanuts. Peanuts, die in meiner Seele zu Elefantenbäumen heranwuchsen und die Leere nur noch vergrößerten.
    Etwas Wichtiges änderte sich in unserer Beziehung nach Weihnachten. Felix hatte lapidar gefragt, warum ich nicht Jürgen um finanzielle Hilfe für ein neues Auto bitten würde. Mein emotionaler Ausbruch muss tiefe Spuren bei ihm hinterlassen haben. In fünf Sätzen qualifizierte ich seinen Vorschlag ab und knallte ihm Begrifflichkeiten wie Missbrauch, Misshandlung, Therapie, Suizid und so weiter um die Ohren. Gleichzeitig überschüttete ich ihn mit Vorwürfen, immer tatenlos zuzusehen, wie ich mich mit meinem Leben quälte. Felix machte sich gelegentlich lustig über meine Berufsausbildung bei der Polizei. Seine Erfahrung mit der Polizei manifestierte sich in der Begegnung mit einem Kollegen, der ihn mit den Händen in der Hosentasche und Kaugummi kauend nach seinem Fahrzeugschein und Führerschein gefragt hatte. Felix ahnte nicht, dass Fragen wie »Ballert ihr da eigentlich auch so richtig mit der Knarre rum?« meine Seele tief verletzten. Er ahnte auch nicht, wie stolz ich insgeheim war, diesen schwierigen Lebensweg bis hin zur Polizeischule bewältigt zu haben. Und er ahnte ebenfalls nicht, wie sehr es mich anwiderte, dass ich diese Ausbildung von meinem eigenen Missbraucher mitfinanzieren ließ. Ich

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