Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
sehnte mich nach dem Tag der Prüfung und sehnte mich danach, dass diese Zahlungseingänge aufhörten. Jeden Monat stand es schwarz auf weiß auf meinem Kontoauszug: Tausend–Mark-Einzahler »Jürgen Karnasch«. Es stand direkt unter den Ausbildungsbezügen der Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen.
Was genau von meinem Wortschwall bei Felix angekommen war, weiß ich bis heute nicht so richtig. Einige Tage später stand er tief bewegt mit einem kleinen Matchbox-Auto vor der Tür. Er wusste, dass ich einen Mitsubishi, der kaum Kilometer drauf hatte und einem alten Herrn gehört hatte, für einen guten Kurs bekommen konnte. Felixʼ Vater hatte mir den Händler empfohlen. Der Kauf scheiterte aber an der Anzahlung über dreitausend Mark, die ich zu leisten hatte. Den Restbetrag hätte ich monatlich in vierundzwanzig Raten abstottern können. Sicher, ich hätte den Gürtel enger schnallen müssen, aber diese Raten waren machbar. Ich starrte auf das kleine Matchbox-Auto und fing an zu heulen. Es war ein kleiner schwarzer Mitsubishi Colt, genau das Modell, das ich kaufen wollte. Felix hatte feuchte Augen, als er mir einen Umschlag dazu gab. Er nahm mich in den Arm. »Ich kann dir kein neues Auto kaufen«, begann er, »aber die Anzahlung, die kann ich dir geben. Wenn du irgendwann besser bei Kasse bist, kannst du es mir zurückzahlen. Jetzt zumindest brauchst du dir keine Sorgen mehr zu machen und kannst jeden Tag beruhigt zur Polizeischule fahren.«
Ich war sprachlos. Felix hatte mir eine Seite offenbart, die ich bis dato nicht an ihm kannte. Ich heulte mich in seinen Armen aus, und es tat unglaublich gut, einmal schwach sein zu dürfen.
Während meiner wöchentlich stattfindenden Therapiesitzungen litt ich Höllenqualen. Ohne ein Päckchen Tempotaschentücher ging gar nichts. Der Schmerz, meine Mutter verloren zu haben, und der Schmerz über alles, was sie mir angetan hatte, überwältigte mich jedes Mal. In diesem Wirrwarr von gegensätzlichen Gefühlen kam nach fast einem Jahr Therapie meine Sexualität zur Sprache. Ich offenbarte mich dem Therapeuten. Ich wusste, dass Schauspielerei hier zu keinem guten Ergebnis führen würde. An diesem Tag nahm ich zwei Sätze des Therapeuten mit nach Hause. Der erste Satz war: »Sie dürfen ruhig EINE Mutter vermissen, aber bitte nicht DIESE Mutter!« Der Satz hatte tiefen Eindruck bei mir hinterlassen und sorgte für etwas Ruhe in mir. Der zweite Satz hatte mich zum Explodieren gebracht und dazu veranlasst, die Sitzung vorzeitig und unfreundlich zu beenden. Es war der Satz: »Sie werden gar keine andere Wahl haben, als Ihrem Partner zu sagen, dass Sie noch nie mit einem Mann einen Höhepunkt hatten.«
»Niemals! Nur über meine Leiche!«, hatte ich den Therapeuten angebrüllt. Ich war völlig aus der Fassung geraten. »Eher breche ich diesen ganzen Mist hier ab!« Mit diesen Worten war ich aufgestanden und gegangen. Ich war unhöflich gewesen, stellte ich auf der Heimfahrt fest. Ich beruhigte mich mit dem Gedanken, dass Therapeuten geschult waren, so etwas auszuhalten, und überdies dafür bezahlt wurden. Meine Gedanken waren bei Felix. Und bei dem Therapeuten. Der hatte gut reden. Wie stellte er sich das eigentlich vor? »Du hör mal, Felix. Ich wollte dir nur sagen, dass ich dir fast ein Jahr lang ein großartiges Schauspiel präsentiert habe. Mein ganzes Gestöhne, meine blöden Zuckungen, meine ganzen Orgasmen ... tja, die waren gespielt, mein Liebster? Aber mach dir keine Sorgen, du bist großartig im Bett, und lieb habe ich dich trotzdem?«
Unmöglich! Es war einfach unmöglich! Aber die Hoffnung war da. Ich spürte sie deutlich, und der unbändige Wunsch nach sexueller Identität ließ nicht nach. Es war alles so verdammt verrückt in dieser Zeit. Mal wollte ich meinem Leben ein Ende setzen, dann wiederum kämpfte ich wie eine Löwin um mich. Ich gab mich auf. Ich kämpfte. Ich gab mich auf. Ich kämpfte.
Felix war sexuell immer begeistert bei der Sache, und auf Dauer konnte ich so nicht weitermachen. Ständig fragte er, was mir gefallen würde, und diese Fragen bedeuteten Stress! Innerhalb kürzester Zeit würde es so aussehen wie bei Alfons und mir. Ich würde Felix ständig abwimmeln mit Kopfschmerzen, Zwischenblutungen und allem, was uns Frauen so einfällt, wenn Männer Lust haben und uns das zu viel wird. Felix war ein Mann, dem die Sexualität Nähe und Gemeinsamkeit gab. Er liebte es, mich zu verwöhnen. Er würde mich verlassen, wenn er hörte, dass alles nur
Weitere Kostenlose Bücher