Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
Endstufe war so ziemlich das Teuerste an diesem Gerät. Ich werde heute noch wütend, wenn ich an die Selbstverständlichkeit denke, mit der Jürgen bei mir das Geld kassierte ...
Immerhin konnte ich mir nun endlich richtig schöne Klamotten kaufen. Wrangler waren absolut trendy, und eine solche Jeans wurde erst dann für passend befunden, wenn man quer über der Ladentheke hing und mindestens zwei Verkäuferinnen an beiden Seiten des Hosenbundes zogen und zerrten, bis man dann endlich unter Einhalten der Luft mühsam den Knopf schließen konnte. Allein aufstehen konnte man mit diesen engen Jeans kaum noch, und in der Schule war gar nicht daran zu denken, ordentlich auf dem Stuhl Platz zu nehmen. Wir mussten längs in den Stühlen hängen, so sehr wurde das Becken eingequetscht. Aber egal. Mit Oma, die angesichts ihrer gesundheitlichen Bedenken nur noch den Kopf schüttelte, kaufte ich meine allererste Wrangler von meinem eigenen Geld. Oma, die kräftig für eine solche Jeans gespart hatte, spendierte mir stattdessen den passenden Bundeswehrparka. Im Geschäft meinte sie zu mir: »Eigentlich finde ich beide Sachen schrecklich, aber mit diesem komischen Parka hast du wenigstens eine warme Jacke.« Ich war nun auch endlich »in« und füllte meinen Kleiderschrank nach und nach mit modischen Sachen.
Meine Mutter beobachtete meine Einkäufe stillschweigend. Sie hatte keine Hemmungen, während meiner Abwesenheit meinen Schrank zu durchwühlen und sich fleißig zu bedienen.
Dass sie meine Kleidungsstücke getragen hatte, habe ich oft erst gemerkt, wenn sie mir diese schmutzig und zerknüllt einfach auf den Fußboden meines Zimmers warf. Für das Waschen MEINER Wäsche sei ich doch schließlich selbst verantwortlich, meinte sie gleichgültig. Leider bekam meine Mutter an einem Abend mit, dass ich verdammt schnell bügeln konnte, und so beschloss sie, auch das Bügeln ihrer eigenen Wäsche mit in meinen Aufgabenbereich zu übertragen. Wäre ich schlau gewesen, dann hätte ich zwei oder drei ihrer Lieblingsblusen zu heiß gebügelt, und schon wäre ich diese Arbeit losgeworden. In dieser Beziehung war ich aber nicht schlau, sondern dummerweise viel zu ehrlich.
Meine Mutter ärgerte es unglaublich, dass Jürgen immer noch regen Kontakt zu seiner Margot hielt. Margot war ihr ein rotes Tuch, und als sie eines Tages erfuhr, dass Margot Jürgens ständige Begleiterin bei allen möglichen Geschäftsessen geblieben war und Jürgen sie bei seinen neuen Geschäftspartnern als »seine Frau« vorstellte, platzte bei uns die Bombe. Sie stritten sich stundenlang, und Jürgen redete auf meine Mutter ein wie auf ein krankes Kind. Ich hörte ihn mit seiner tiefen und immer ruhigen Stimme argumentieren, dass es doch geschäftsschädigend sei, wenn seine Geschäftspartner erfahren würden, dass er sich von seiner Frau getrennt habe. Immerhin könnten die ja dann denken, dass Jürgens Ehefrau im Zuge einer möglichen Scheidung die Hälfte des Vermögens beanspruchen würde, und somit sei die Zukunft seiner Firma dann ja ungewiss. Jürgen argumentierte weiter, dass diese Geschäftspartner ihm dann keine Aufträge mehr erteilen würden, weil das alles logischerweise eine »unsichere Kiste« sei. Meine Mutter schien das zu überzeugen. Wenig später muss sie dann erfahren haben, dass einer der größten Auftraggeber von Jürgen seine neue Lebensgefährtin in aller Selbstverständlichkeit vorgestellt hatte und aus seiner gescheiterten Ehe kein Geheimnis machte. Wieder hing bei uns der Haussegen schief, und die beiden diskutierten laut und heftig die ganze Nacht hindurch. Am nächsten Morgen war meine Mutter das heulende Elend. Um ein Haar hätte ich mir zu allem Überfluss noch eine Ohrfeige eingehandelt, weil ich meiner Mutter mitfühlend sagte, dass ich niemals mit einem Mann zusammen sein könnte, der nicht voll und ganz hinter mir stünde. Ich hatte das Ende der Diskussion nicht mitbekommen, die wie immer zugunsten von Jürgen beendet worden war, und meine Mutter schrie mich daher an, ich solle mich mit meinen blöden Kommentaren gefälligst zurückhalten, sonst würde es knallen.
Der Hass auf Margot ließ meiner Mutter keine Ruhe. Sie beauftragte mich, Ulf anzurufen und mich mit Ulf bei ihm zu Hause zu treffen. »Nimm auf jeden Fall den Donnerstagnachmittag«, instruierte sie mich, »da ist die Olle nämlich beim Friseur!« Ich verabredete mich scheinheilig mit Ulf, der nicht ahnen konnte, mit welchem Auftrag ich bei ihm aufkreuzte. Und
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