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Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Titel: Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe R. Lansdale
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setzte mich auf die Bettkante und sah zu, wie Callie den Beutel in die Hand nahm, die Briefe herauszog und den Faden entknotete.
    »Die gehören mir«, sagte ich.
    »Sie gehören dem, der sie geschrieben hat. Du hast sie nur gefunden, Dummkopf.«
    »Es sind bloß Liebesbriefe.«
    Callie las den ersten Brief. Als sie fertig war, standen ihr Tränen in den Augen. »Das ist so romantisch!«
    »Ich fand’s schnulzig.«
    »Es ist sehr romantisch. Und so altmodisch. Hast du das Datum gesehen?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Der Brief wurde während des Krieges geschrieben. Im ersten Jahr.«
    »Das ist ganz schön lange her.«
    »Ich wurde im Krieg geboren. 1942. So lang ist es also gar nicht her. Das klingt, als hätte es eine Frau an ihren Geliebten geschrieben.«
    »Meinst du etwa, dass ein Mann diese Briefe aufbewahrt hat?«
    »Na ja, so klingt es zumindest. Vermutlich könnten es auch Briefe von einem Mann an eine Frau sein. Hier stehen nur die Initialen, von M an J . Deswegen kann ich es nicht mit Sicherheit sagen. Vielleicht müsste ich noch mehr lesen.«
    »Wie sind sie da in der Erde gelandet?«
    »Keine Ahnung.«
    Callie zog einen weiteren Umschlag hervor und nahm den Brief heraus. »Der ist auch mit M unterschrieben. Wahrscheinlich waren das ihre Kosenamen. Nur die Anfangsbuchstaben. Ist dir aufgefallen, dass auf den Umschlägen keine Briefmarken oder Adressen drauf sind?«
    »Was hat das zu bedeuten?«
    »Meiner Meinung nach bedeutet es, dass die Briefe nicht mit der Post verschickt, sondern persönlich überbracht worden sind.«
    Callie fing an, das ganze Bündel zu untersuchen. »Guck mal, das sind nicht alles Briefe. Nur die obersten vier. Der Rest sind rausgerissene Tagebuchblätter, die von beiden Seiten beschrieben wurden. Und kreuzweise auch noch.«
    »Kreuzweise?«
    »Erst wurden sie ganz normal beschrieben, von vorne und hinten, und dann hat jemand die Seiten gedreht und drübergeschrieben. Siehst du?«
    Ich schaute es mir an. Tatsächlich. »Wie soll man so was noch lesen können?«
    »Das haben die Leute gemacht, um Papier zu sparen, vor allem im Krieg. Wahrscheinlich gewöhnt man sich daran, es zu entziffern. Wo genau hast du die gefunden?«
    Ich erzählte es ihr.
    »Komm, wir schauen uns da mal um.«
    Ich hatte nichts anderes vor, also willigte ich ein. Callie steckte die Briefe und die Tagebuchseiten zurück in die Umschläge und schob das Kästchen wieder unters Bett.
    Dann zog sie sich Schuhe an, und wir gingen nach draußen. Hinterm Grundstück zeigte ich ihr, wo ich über die Kiste gestolpert war. Nub buddelte in dem Loch herum, als könnte er dort vielleicht noch etwas finden, dann hielt er plötzlich inne und raste in den Wald, um wer weiß was zu jagen.
    Kurz darauf hörten wir ihn bellen.
    Ich rief ihn zurück, aber er kam nicht.
    »Komisch, dass es genau hier vergraben lag«, sagte Callie, »am Waldrand ... Nub, halt’s Maul!«
    »Red nicht so mit Nub.«
    »Ich krieg Kopfweh von dem Gekläffe.«
    Ich rief ihn noch einmal, aber er kam immer noch nicht. »Lass uns nachsehen«, sagte ich.
    Der Wald aus Kiefern und Gestrüpp stand ziemlich dicht. Es war nicht gerade leicht, zu Nub durchzudringen, aber bald hatten wir ihn gefunden. Er stand mit aufgestützten Vorderpfoten an einer alten Eiche, hatte den Kopf in den Nacken gelegt und bellte ein Eichhörnchen an. Vom Eichhörnchen konnte man lediglich den Schwanz sehen, der im Luftzug wedelte. Ich packte Nub am Halsband und zerrte ihn vom Baum weg. Von seinem spitzen, kurzen Blaffen zogen sich mir die Backenzähne zusammen. »Nub, aus!«, rief ich.
    »Meine Güte, Stanley, sieh mal!«
    Ich drehte mich um, sah nichts außer Callie, doch als ich genauer hinschaute, bemerkte ich, dass eine alte Verandatreppe halb versunken in der Erde steckte. Dann entdeckte ich die zerfallenen Grundmauern eines Hauses, eines riesigen Hauses.
    Ich schaute noch aufmerksamer hin, und dann erkannte ich, wo das Holz verrottet und zu Boden gefallen und zum größten Teil von Kiefernnadeln und Eichenblättern bedeckt war.
    Callie sah hoch. »Mein Gott.«
    Ich folgte ihrem Blick. Zersplittertes, vermodertes Holz hing von den Zweigen wie eine hässliche Weihnachtsdekoration. Da schwebte ein Fensterrahmen mitsamt einer zerbrochenen Glasscheibe, die von einem Kiefernzweig gestützt wurde. Ein großes Stück des Dachgebälks klemmte ebenfalls dort oben. Sogar eine schwärzliche Tür; ein Ast war an der Stelle hindurchgewachsen, wo die Klinke gewesen war.
    Das Merkwürdigste

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