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Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Titel: Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe R. Lansdale
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beginnen, als die Haustür aufging, die wir selten abschlossen (obwohl sich das noch ändern sollte), und eine Stimme rief: »Hallo, jemand zu Hause?«
    Es war Rosy Mae. Sie streckte den Kopf durch die Tür und benahm sich, als wäre sie noch nie bei uns gewesen.
    »Komm rein, Rosy Mae«, rief Mom zurück.
    Rosy Mae kam näher, blieb in der Küchentür stehen und drückte sich ihre Handtasche mit dem Paisleymuster an die Brust, als hielte sie ein Kätzchen im Arm.
    Ihr Kopftuch war verschwunden. Ihre krausen Locken waren zu Zöpfen geflochten, die ihr auf dem Kopf herumwippten wie gesprungene Bettfedern. In ihrem ohnehin schon ziemlich schwarzen Gesicht prangten noch dunklere Flecken um die Augen, ihr Mund war geschwollen, und sie hatte einen Schnitt in der Unterlippe, rot wie die Sünde. Das Kleid war am Hals ausgeleiert und der rechte Ärmel bis zur Schulter aufgerissen.
    »Mein Gott«, sagte Mom. »Was ist denn mit dir passiert?«
    »Ich will Sie ja einglich gar nich stören, aber ich weiß einfach nich, wo ich sonst hin soll. Mein Alter, Bubba Joe, hat mich grün und blau geschlagen, und ich hab’s v’leicht auch verdient, hätt mal besser meine freche Klappe halten sollen, aber diesmal hat er mir wirklich ’n Schreck eingejagt. Hat ’n Messer gezogen. Hat gesagt, er schlitzt mich auf.«
    Mom ging zum Kühlfach, brach einen Eiswürfelbeutel auf, schüttete das Eis auf ein Geschirrtuch und faltete es zusammen. »Mal sehen, ob wir was gegen die Schwellung an deinem Auge tun können. Armes Mädchen. Hast du die Polizei gerufen?«
    »Nein, Ma’am. Bringt nix. Hab schon mal die Polizei gerufen. Die sagen, das is ’ne Privatangelegenheit, und wenn ’n Nigger seine Frau schlagen will, dann geht sie das nix an. Außerdem sind wir nich verheiratet.«
    »Dann dürft ihr euch ja genau genommen nicht mal streiten«, sagte Daddy.
    »Nein, Sir, dürfen wir nich.«
    »Das ist nicht lustig, Stanley«, sagte Mom.
    Sie führte Rosy zu einem Stuhl am Tisch und drückte ihr das Tuch mit dem Eis auf die linke Gesichtshälfte, die stärker angeschwollen war. Von der Seite sahen ihre Haare aus wie knotige Schlangen, und sie hätte eine gute Medusa abgegeben.
    »Das ist die schlimmste Stelle«, sagte Mom.
    »Ja, Ma’am, er schlägt mich meistens mit rechts, deswegen isses da am schlimmsten. Mit links trifft er auch ziemlich gut. Aber am liebsten tut er mich mit rechts schlagen. Und an der Hand hat er auch noch ’n Ring.«
    »Worum um Himmels willen ging es denn bloß?«, fragte Daddy.
    »Ich war ’n bisschen schnippisch zu ihm.«
    »Und weswegen?«, fragte Daddy.
    »Weswegen?«, sagte Mom. »Als ob es wichtig wäre, weswegen. Man muss doch einem Mann mal schnippisch kommen können, ohne gleich eine Tracht Prügel zu kassieren.«
    »Tja, manche Frauen kennen eben ihren Platz in der Welt nicht«, erwiderte Daddy.
    »Stanley senior«, sagte Mom. »Ich sag dir mal was, mein Platz in der Welt ist ziemlich genau da, wo ich ihn haben will. Verstanden?«
    Daddy antwortete nicht, aber an der Farbe seines Gesichts konnte man erkennen, dass er verlegen war, und seine zusammengesunkenen Schultern verrieten, dass er jetzt lieber schwieg. Schließlich war er derjenige, der zurechtgewiesen worden war.
    »Wenn mich je ein Mann schlagen sollte«, sagte Mom, »dann legt er sich besser nie wieder zum Schlafen hin.«
    Sie schaute Daddy an, als könne er vielleicht vorhaben, sich an ihr zu vergreifen. Bestürzt erwiderte er ihren Blick.
    »Ja, Ma’am«, sagte Rosy Mae. »Das hab ich mir auch gedacht. Ich krieg ihn dran, wenn er schläft, hab ich gedacht. Hab mir ’n altes Schlachtbeil draußen unter ’n Eimer gelegt. Normalerweise nehm ich das für meine Brathühner, aber wenn er schläft, könnt ich ihn einfach abmurksen wie ’ne Henne. Schlafen muss er aber schon. Issen ziemlich großer Kerl. Hab auch gedacht, ich kann ihm Lauge in seine fiese alte Visage schütten. Ich kenn viele Nigger, die Lauge genommen haben, und das funktioniert wirklich. Frisst die Augen weg, ätzt ’m Nigger die Farbe aus der Haut ... aber ich hab nich das Herz dafür, für beides nich ... Ich weiß auch nich, warum ich hergekommen bin, Miss Mitchel. Mir is nix anders eingefallen, wo ich sonst hingehn kann. Wahrscheinlich lässt er mich in Ruh, wenn ich bei Weißen im Haus bin. Das hab ich wohl gedacht, wissen Sie.«
    »Du bleibst hier erst mal sitzen, bis du dich besser fühlst«, sagte Mom. »Und ich bring dir einen Teller zu essen.«
    »Das ist furchbar nett von

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