Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss
Ihnen, Ma’am, aber ich glaub, ich sollt hier nich an Ihrem Abendbrotstisch sitzen und Sie servieren mir Essen.«
»Das ist auch so eine Sache«, sagte Mom. »Du arbeitest für uns, also sitzt du von jetzt an mit uns am Tisch und isst mit uns.«
Ich sah, wie Daddy Mom einen scharfen Blick zuwarf, aber der, den Mom zurückwarf, hätte einem Stier die Hörner gekappt.
»Callie, du holst Rosy Mae einen Teller, Besteck und eine Serviette. Tu ihr eine reichliche Portion auf. Stanley junior, du holst ihr einen Eistee.«
Callie und ich liefen los und brachten alles an den Tisch. Als Callie Rosy Mae den Teller hinstellte, tätschelte sie ihr die Schulter.
»Also, weswegen hat er dich geschlagen?«, fragte Mom.
»Das spielt doch keine Rolle«, warf Daddy ein. »Hast du selbst gesagt. Sie war bloß schnippisch.«
»Worum es auch ging, er hatte kein Recht, so was zu tun«, sagte Mom. »Aber für mich spielt es schon eine Rolle, warum er sie geschlagen hat. Natürlich nur, wenn du darüber reden möchtest, Rosy.«
»Das war, weil ich ihm nich das ganze Geld gegeben hab, was ich hier verdien. Er will alles kriegen, aber er versäuft und verspielt es bloß. Und er sagt, dass ich noch so ’ne andere Arbeit annehmen soll, aber das mach ich nich.«
»Was denn für eine andere Arbeit?«, fragte Mom.
»Na ja, Miss Mitchel, das sag ich vor den Kindern lieber nich.«
Moms Augen weiteten sich. »Oh.«
»Ja, Ma’am, so ’ne Arbeit. Und das mach ich nich. Er hat sich schon früher ’n paar so Frauen gehalten, aber ich bin ’n anständiges Mädchen, und für so Sachen geb ich mich nich her. Für niemand. Auch nich, wenn ich geschlagen werd. Eher bringt er mich um, als wie dass er mich dazu kriegt.«
»Er hat dich geschlagen, weil du dich geweigert hast?«
»Ich hab’s ’n bisschen zu deutlich gesagt, hab meine Klappe ziemlich weit aufgerissen. Hat ihm ganz und gar nich gefallen. Aber der beruhigt sich wieder. Das macht er immer, wenn er das Saufen für ein, zwei Tage sein lässt und nüchtern wird. Dann isser ’ne Zeit lang freundlich. Erst um den Freitag rum, wenn ich mein Lohn krieg, dann rastet er aus. Ab Montag oder Dienstag wird’s dann wieder besser.«
»Dann hast du also vielleicht zwei Tage die Woche deine Ruhe«, sagte Mom. »Rosy Mae, du musst heute Abend nicht zu ihm zurückgehen. Du isst dein Abendbrot, und dann schläfst du hier im Wohnzimmer. Mir ist es lieber, wenn du dich erst mal von diesem Mann fernhältst.«
Daddy saß mit offenem Mund da und wusste nicht, was er sagen sollte. Mom nahm das Geschirrtuch mit den Eiswürfeln von Rosys Wange und forderte sie auf: »Jetzt iss erst mal. Wir essen ja auch noch.«
Zögerlich wandte Rosy sich ihrem Teller zu, doch dann überwältigte sie der Hunger.
»Schmeckt es dir?«, fragte Mom.
»Sehr gut, Miss Mitchel. Die grünen Bohnen, die könn’ v’leicht noch ’ne Prise Salz vertragen, aber es is wirklich lecker und ich dank Ihnen sehr.«
»Salz?«, fragte Mom.
»Ja, Ma’am. Aber nur ’n ganz klein wenig.«
Als sie fertig war, sagte Mom: »Rosy Mae, du legst dich jetzt hier aufs Sofa. Wir müssen das Autokino aufmachen.«
»Miss Mitchel«, antwortete Rosy Mae, »wo Sie mir doch zu essen geben und mich hier schlafen lassen, da will ich Ihnen auch in der Küche mit den Brathähnchen helfen, oder was es sonst noch so zu tun gibt.«
»Na ja, abgesehen vom Fleisch wird eigentlich gar nichts groß gekocht«, sagte Mom. »Aber du kannst mir natürlich gern zur Hand gehen. Wenn du allerdings müde wirst oder Schmerzen hast, dann hörst du gleich auf und legst dich hin.«
»Danke schön, Ma’am.«
»Nichts zu danken, Rosy Mae.«
Rosy Mae räumte ihren Teller ab und ging in die Küche der Imbissbude, um Mama beim Zubereiten der Brathähnchen zu helfen. Das würden die besten Brathähnchen werden, die es jemals im Autokino – oder überhaupt sonst irgendwo – gegeben hatte, und sie würden genau richtig gesalzen sein, das stand fest.
Daddy saß am Küchentisch, schaute in die Richtung, wohin die beiden Frauen sich verzogen hatten, und auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck, als wäre er gerade aufgewacht und müsste feststellen, dass sein altes Leben nur ein Traum gewesen und sein linker Fuß in Wahrheit eine Lammkeule war.
Callie und ich brachten ebenfalls unser Geschirr in die Küche, fragten, ob wir gehen dürften, und versicherten Daddy, dass wir rechtzeitig wieder da sein würden, um im Autokino zu helfen. Dann liefen wir hoch in mein Zimmer, zogen
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