Ein feuriger Gentleman: Roman (German Edition)
einen Zaunübertritt und folgte unbeirrt dem Weg durch die untere Wiese den Hügel hinauf, der sich über dem Tal erhob. Auf Stelzen erbaut, befand
sich die Laube in einem Wäldchen unterhalb der Anhöhe, direkt unter der Krone eines Baumes. Von dem Tal aus war die Laube praktisch nicht zu sehen, aber der erhöhte Aussichtspunkt in dem einzigen Raum der Laube, hoch oben im Geäst, bot eine herrliche, fast unwirkliche Aussicht auf das stille Tal und die in der Ferne plätschernden Bäche, den Wald, die Obstgärten und grünen Weiden.
Die Laube gehörte zum Herrensitz von Avening Manor, aber niemand von dort kam noch dorthin. Sie hatte sie etwa einen Monat nach ihrer Ankunft auf einem ihrer ersten Abendspaziergänge entdeckt. Die Laube war dem Verfall anheimgefallen, sodass sie sie mit Beschlag belegt hatte, und niemandem aus dem Herrenhaus oder im Pfarrhaus war ihr Verhalten seltsam vorgekommen, niemand hatte es hinterfragt. Mit ihrem eigenen Geld hatte sie die Dachschindeln bezahlt, hatte die Löcher im Dach abdichten und die Fenster und den Boden erneuern lassen. Howlett hatte Möbel vom Dachboden von Avening Manor beigesteuert. Mrs. Connimore hatte alle paar Wochen zwei Zimmermädchen zum Staubwischen und Fegen hergeschickt, und sie selbst hatte für all die anderen Annehmlichkeiten gesorgt, die sie sich wünschte – einen Teppich, Bücher, Kissen, alles stammte aus dem Pfarrhaus.
Sie trat in die dunkleren kühleren Schatten der Bäume um die Laube, schaute nach vorn und schärfte die Sinne und verspürte einen Anflug von Vorfreude.
Er würde über den anderen Weg kommen, der direkt vom Herrenhaus herführte. Beide Wege verliefen durch den Wald, bevor sie sich vor der Laube vereinigten; sie trat aus den Schatten auf die kleine Lichtung und bemerkte, dass die Tür am oberen Ende der hölzernen Treppe weit offen stand.
Keine Kerze brannte, kein Schatten regte sich hinter den breiten Fenstern in dem Zimmer dort oben, aber sie war die Einzige, die je herkam; er war bereits da und wartete auf sie.
Sie stieg die Stufen hoch. Sie knarrten immer noch, ein auf seltsame Weise beruhigendes Geräusch. Durch die Tür kam man direkt in den einzigen Raum, aus dem die Laube bestand. Sie ging hinein und erkannte ihn im Dunkeln.
Er saß in einem Polstersessel, einen Stiefel auf dem Knie, den Ellbogen auf den Armlehnen, das Kinn in die Hand gestützt und den Blick auf die Türöffnung gerichtet, auf sie.
Der schöne Tag war in einen milden Abend übergegangen. Er hatte seinen Rock ausgezogen und seine Weste aufgeknöpft. Das Weiß seines Hemdes zog das wenige Licht auf sich.
In seiner unbeweglichen und unendlich männlichen Pose strahlte er eine machtvolle Aura gezügelter Kraft aus. Da sie nicht durch seine eleganten lässigen Bewegungen abgelenkt wurde, spürte sie diese Kraft umso deutlicher.
Einen Moment lang betrachtete sie das Bild, prägte es sich ein und griff dann hinter sich, um die Tür zu schließen.
Er beobachtete sie reglos, aber sie konnte spüren, wie er sich beherrschen musste, während er sie genau studierte und einzuschätzen versuchte. Für diesen Augenblick war es an ihr, die Initiative zu ergreifen. Und die Klugheit riet ihr, genau das zu tun.
Dank der breiten Fenster, die die gesamte Vorderseite der Laube einnahmen und die Aussicht gewissermaßen einrahmten, hatte sie genug Licht, um etwas erkennen zu können. Sie trat zu der Kommode, ließ den Schal von ihren Schultern gleiten, faltete ihn und legte ihn weg.
Dann ging sie an dem breiten Ruhebett vor den Fenstern vorbei, auf dessen dicker Matratze bunte Überwürfe lagen und einladend verstreute Kissen. Ein Fenster war geöffnet. Sie stieß es weiter auf und schaute hinaus, atmete die Abendluft ein. Der Duft des Holzes vermischt mit dem der Apfelblüten aus den Obstgärten stieg ihr in die Nase.
»Apropos.« Ihre Stimme klang ruhig. Sie drehte sich um und
schaute ihm ins Gesicht. »Ehe wir anfangen, möchte ich einen Punkt klarstellen.«
Wenn sie ihn dort so abwartend sitzen sah, so selbstsicher, ja fast arrogant, obwohl er es geschickt verbarg, erkannte sie, wie groß die Gefahr war, die er darstellte – darstellen konnte, und welche Form diese Gefahr annehmen könnte. Er war die Verkörperung eines Gentlemans ihrer Klasse, und auch wenn sie nicht glaubte, dass er etwas in der Richtung vorhatte, sie würde so jemandem nicht zum Opfer fallen. Nicht noch einmal. Nie wieder.
»Ich möchte, dass du weißt und dich einverstanden erklärst,
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