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Ein fliehendes Pferd

Ein fliehendes Pferd

Titel: Ein fliehendes Pferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser , Helmuth Kiesel
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nicht, als habe sich eine Herde von Hügeln nur zum Ruhen um den See gelagert, rief sie. Offenbar wollte sie mit Klaus in einen Formulierwettbewerb treten. Helmut spürte die Sanftheit der Hügel, vor denen man hinfuhr, auch. Aber er hütete sich, das zu sagen. Klaus Buch sagte es. Er kenne seinen Helmut. Daß den das im Sonnenglast auf- und niedersteigende Grün nicht unberührt lasse, brauche ihm keiner zu sagen. Helmut habe in der Schule immer die schmelzendsten Stimmungsbilder geschrieben. Aber sein größter Trick sei dann gewesen, die ausschweifendsten Wortgebilde mit einer gänzlich interesselosen Stimme vorzulesen.
    Helmut gefiel es, daß so ungenau von ihm geschwärmt wurde. Auch um Sabines willen. Er spürte, daß seine Füße eiskalt waren. Es war ein heißer Tag. Unauffällig versuchte er, seine Füße in die Sonne zu bringen.
    Es fiel ihm nichts anderes ein, als Klaus Buch nach dessen Karriere zu fragen. Er hoffte, wenn Klaus Buch über sich selber spräche, würden sich seine Formulierungen mäßigen. Tatsächlich sprach der über sich selbst nicht so ausdrucksgierig wie er über Helmut gesprochen hatte. Aber wie er sich selbst charakterisierte, war Helmut auch unangenehm. Der konnte einem nichts recht machen. Ganz unernst gestand er, daß er sich zum Erzieher charakterlich nicht befähigt gefunden habe. Er hätte, wenn er beamteter Lehrer geworden wäre, nicht die Seelenstärke gehabt, die man brauche, um dem Trott zu entgehen. Der schicksallose Kleinbürger wäre er geworden. Ein spießig verwitterndes Harnsäurekonzentrat, sonst nichts. Ohne Provokation gebe es ihn nicht. Wenn er nicht überfordert werde, lebe er nicht. Er brauche die Grenze, sonst fühle er sich nicht. Also sei er Journalist geworden. Spezialist für Umweltfragen. Innerhalb der Ökologie Spezialist für Ernährungsfragen. Auch im Fernsehen zu sehen. Sabine sagte sofort, sie kämen so gut wie nicht zum Fernsehen, weil sie abends läsen. Klaus beneidete Sabine und Helmut. Abends lesen, echt gut. Für ihn sei es beruhigend, daß es solche Menschen noch gebe. Hel sagte: In deiner Aufzählung des Grünen heißt es Leser sind eine Grüne Lunge der Menschheit. Hel, sagte er, daß du mich auswendig kannst! Ich glaube, du magst mich doch noch ein bißchen. Das sei ihm von seinen Büchern das Liebste, die Aufzählung des Grünen. Was aber lesen Halms, abends? De Sade, sagte Helmut rasch, bevor Sabine antworten konnte. Masoch auch, maulte Sabine nach. Ihr seid mir so zwei, sagte Klaus. Helmut sagte: Stimmt. Klar zur Wende, rief Klaus. Klar, rief Hel. Re, rief Klaus. Sabine und Helmut duckten sich.
    Wissen Sie, Klaus, sagte Sabine – Helmut ärgerte sich, weil sie Klaus Buch immer Klaus nannte; er hatte Hel nur Frau Buch genannt und vermied, als er sie, auf ihres Mannes Befehl, Hel nennen sollte, ihren Vornamen ganz und gar –, Helmut ist seit Jahr und Tag dabei, zwei Bücher zu schreiben, aber die Schule frißt ihn einfach auf; jetzt hat er seine Pläne schon auf ein Buch reduziert; aber selbst das muß er immer wieder hinausschieben. Weißt du was, Hel, sagte Klaus, wir werden den Halms unsere harmlosen Büchlein überreichen. Oh ja, sagte Sabine, Helmut, vielleicht macht dir das Mut, doch noch anzufangen.
    Helmut dachte, daß es vielleicht eine Art Laster sei, aber das süßeste aller Gefühle sei es doch zu erleben, daß auch die eigene Frau keine Ahnung hat von einem. Natürlich nickte er zu allem, was Klaus sagte, was Sabine sagte, und hob dabei zum Zeichen einer im Geistigen beheimateten Hochachtung seine Brauen hoch in die Stirn. Helene Buch hat also auch schon geschrieben. Ja, sowas. Über Kräuter. Und Klaus hat sogar schon mehreres veröffentlicht. Über das Essen allgemein. Aha. Und fünfundsiebzigtausend Leute gibt es, die nach seinen Schriften essen. So ist das. Aber er ist bescheiden geblieben. Das sei nicht sein Verdienst. Er habe formuliert, was fällig gewesen sei. Hels Kräuterbuch sei viel verdienstvoller, und deshalb auch viel weniger verbreitet. Hel protestierte. Ich hätte doch nie ein Buch geschrieben, wenn er’s nicht verlangt hätte. Zweitens hab ich gar keins geschrieben, ich habe lediglich Pfarrer Künzle ins Neudeutsche übersetzt, das heißt, ich habe jedesmal, wo bei ihm Gott steht, Natur eingesetzt. Sie kennen ja sicher Chrut und Uchrut. Nein?! Also deswegen kämen Buchs doch seit drei Jahren in diese Gegend, um den Pfarrer Künzle besser zu verstehen. Auch geistig, sozusagen. Pfarrer Künzle sei ihnen

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