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Ein fliehendes Pferd

Ein fliehendes Pferd

Titel: Ein fliehendes Pferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser , Helmuth Kiesel
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war, diesen Brief zu schreiben. Wenn er auch nur einen einzigen Satz dieses Briefes ernst meinte, hieß das, daß er ihn nicht mitteilen durfte. Aber er konnte nicht aufhören zu schreiben. Also schrieb er weiter: Und wisse: Ich bin nicht interessiert, etwas über mich zu erfahren, geschweige denn, etwas über mich zu sagen. Deshalb sollten wir uns nicht noch einmal sehen. Ja, ich fliehe. Weiß ich. Wer sich mir in den Weg stellt, wird … Ich will mich nicht aussprechen. Mein Herzenswunsch ist zu verheimlichen. Diesen Wunsch habe ich mit der Mehrzahl aller heute lebenden Menschen gemeinsam. Wir verkehren miteinander wie Panzerschiffe. Nach nicht ganz verständlichen Regeln. Der Sinn dieser Regeln liegt in ihrer Unvernünftigkeit. Je mehr ein anderer über mich wüßte, desto mächtiger wäre er über mich, also …
    Helmut hörte auf. Er war erleichtert. Der Brief war in einen Ton geraten, der das Wegschicken unmöglich machte. Erst als er den Brief-Ton bis zur Unmitteilbarkeit getrieben hatte, konnte er aufhören. Jetzt freute er sich auf sein Bett. Er spürte, wie ihn die Selbstgenügsamkeit des Negativen durchströmte. Wie schön, daß, wer nichts mehr will, sich selbst genügt. Wie leicht alles wird, sobald man allein ist. Nicht nur innen. Jeder Schritt. Ein Glas und eine Hand. Keine Affäre, sich zu bewegen. Über dieses Teppich-Medaillon könnte er ewig hin und her wandern. Sobald er allein ist, ist der Schulterzwang weg. Vor allem der Gesichtszwang ist weg. Ruhig fließen die Züge. Liegen ohne weiteres. Der Mund hat es am allerschönsten. Er tut einfach, was er will. Sobald der Mund weiß, wir sind allein, benimmt er sich wie ein Hund. Liegt lange reglos, hat dann Lust, Bewegungen zu machen, Spiele. Offenbar will er sich jetzt empfinden. Na fabelhaft. Soll er.

    4.

    Durch Pfeifen, Bäumebetrachten und einen Kommentar über die hoch erhaben daliegende Kirche Birnau, die ihre Brust der Sonne hinhalte wie ein junges Rind, versuchte Helmut zu verhindern, daß der Gang zum Hotel Seehalde als eine Wallfahrt zu Klaus Buch erscheine. Er wollte den Gang selbst zu etwas machen. Daß Sabine unerbittlich verlangt hatte, Otto müsse in der Wohnung bleiben, hatte ihn erschreckt. Das war eine Unterwerfungsgeste. Er hatte gestöhnt und die Sekunde verflucht, in der sie gestern von Klaus Buch entdeckt worden waren. Jetzt komm doch, das tut dir gut, hatte Sabine gesagt. Was? hatte er zurückgefragt. Daß du einmal herausgerissen wirst. Wo herausgerissen? Aus deinem Trott. Trott nennst du das, hatte er gerufen, Trott! Diese hageldichte Folge von gravierenden Momenten, von denen uns jeder einzelne wieder eine ganze Traube von Entscheidungen abverlangt. Stehen wir auf, wenn ja, wann, frühstücken wir, aber was, ziehen wir uns an, wenn ja, was, gehen wir ans Wasser, wenn ja, wo legen wir uns hin, und wie …
    Helmut machte, als Klaus Buch auf sie zueilte, ein möglichst kompliziertes Gesicht. Klaus Buch sagte, da Halms, zum Glück, ihr vierbeiniges Laster nicht dabei hätten, müsse man segeln. Helmut schaute Sabine an, als wolle er sagen: Das hast du jetzt davon. Er sagte, das sei eine wunderbare Idee, aber leider seien Sabine und er nicht zum Segeln angezogen. Klaus sagte: Schuhe runter, alles klar. Sabine stimmte einfach zu. Helmut zeigte ihr, daß er staune. Wußte sie nicht, wie komisch sie in einem Segelboot aussähen?
    Helmut und Sabine wurden auf den Boden der sie mit heftigem Schwanken empfangenden Jolle gesetzt. Kissen wurden untergeschoben. Mit zum Himmel starrenden Zehen saßen sie fremd und versuchten, den sportlichen Bewegungen der Buchs auszuweichen. Klaus Buch hatte verlangt, daß Sabine und Helmut auch die Strümpfe auszögen. Sonst rutschten sie aus und brächen sich was. Helmut hielt Sabine seine Socken hin und machte dabei ein Gesicht, in dem er Verzweiflung triumphieren ließ. Klaus legte ab, Hel war sein Vorschotmann, der Westwind griff sich die Segel, Sabine hatte Angst, die Buchs, die oben saßen, lachten. Helmut hatte das Gefühl, er und Sabine würden hier zu einem Großelternpaar gemacht. Klaus Buch benahm sich an der Pinne, als müsse man ihm andauernd Komplimente machen. Helmut beherrschte sich. Allmählich fand Sabine, daß sie sich Segeln so schön nicht vorgestellt habe. Dieses leise scharfe Gleiten, also nein. Und diese Landschaft, Helmut, schau, vom See aus sind die einander ermöglichenden Hügel noch schöner als beim Spazierengehen. Sie tat, als wäre sie zum ersten Mal auf dem See.
    Ist es

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