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Ein fliehendes Pferd

Ein fliehendes Pferd

Titel: Ein fliehendes Pferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser , Helmuth Kiesel
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steiler als steil gezielt und spritzt sich die ganze Ladung selber ins Gesicht. Klaus Buch lachte und lachte und wiederholte dramatische Satzteile. Sabine hatte nur aufgeschrien. Helene Buch lachte ihr hochspringendes, alles durchdringendes Lachen. Helmut befahl sich, am lautesten und am längsten zu lachen. Es gelang.
    Einer der schönsten Augenblicke unseres erotischen Vorfrühlings, sagte Klaus Buch mit noch erfüllterer Stimme, ereignete sich in dem Keller von, erinnerst du dich, Rolf Eberle, weißt du noch, in der Rothenwaldstraße, als wir es wieder einmal probierten. Wir anderen waren schon alle ganz schön am Reiben, es war ja dunkel, Licht durften wir nicht machen, sprechen auch nicht, also dachten wir, wir hätten alle schon unsere schmerzhaft schöne Lust im Betrieb, da hörten wir plötzlich Helmuts Stimme ganz ganz leise sagen: Jetzt bin ich ans Pure kommen.
    Wieder lachte er los. Hel sagte: Ach wie lieb. Sabine sagte: Ihr wart ja eine schlimme Bande. Helmut lachte ein opernhaft volles Ha-ha-ha-haaa. Klaus wiederholte den Satz, den Helmut gesagt haben sollte, und erklärte, jeder in diesem Keller habe sofort verstanden, daß es unserem Ha-Ha jetzt zum ersten Mal gelungen sei, seine Vorhaut über die Eichel zurückzuziehen. Ecco! Sabine sagte, sie müsse einfach staunen, weil Klaus noch alles so genau wisse. Nicht wahr, Helmut?
    Kompliment, Klaus, sagte Helmut, du siehst, Sabine glaubt schon, was du erzählst, sei tatsächlich passiert.
Ist es nicht? fragte Klaus.
Nicht daß ich wüßte, sagte Helmut und ärgerte sich über seinen blanken Ton.
    Ach, das enttäuscht mich aber, Helmut, sagte Klaus Buch, daß du diese rührenden Kindermomente nicht mehr wahrhaben willst.
    Du, ich weiß einfach nichts mehr davon, sagte Helmut. Ich könnte nicht sagen, so war’s, oder so war’s nicht. Du kannst also erzählen, was du willst, ich kann nur hören und staunen. Du hattest es ja sicher nicht leicht mit uns, damals. Du warst ein bißchen isoliert, glaube ich. Seit du das Vollballonrad hattest, glaube ich. Dadurch ist deine Phantasie angeregt worden. Eigentlich ein ganz normaler Vorgang. Jeder kompensiert. Sabine gähnte kritisch.
    Du, um diesen Punkt werde ich noch ringen mit dir, sagte Klaus Buch. Es muß nicht jetzt sein. Aber daß du die heiligsten Momente unserer Kindheit zum Hirngespinst machen willst, das laß ich dir nicht durch. Solche Kindheitsflämmchen tritt man nicht einfach aus.
    Hel sagte wie von höherer Ebene her: Auf dem Wasser hinfahren und Erinnerungen aufwachen lassen, ist ja unheimlich schön. Ich habe nicht gewußt, wie gut das zusammenpaßt, Wasser und Erinnerung. Also wirklich, Helmut, sagte sie und boxte ihn in die Schulter, diese lieben Miniatürchen sind heute in Klaus aufgetaucht, weil Sie da sind. Ich habe nichts von den Fingerübungen der kleinen Männer gewußt. Er allein auch nicht. Sonst hätte er es mir gesagt. Er sagt mir nämlich alles. Was er erzählt hat, haben Sie ihm souffliert. Und jetzt wollen Sie’s ihm wieder nehmen. Sind Sie vielleicht auch ein Sadist? Blickwechsel mit Klaus. Dann: Entschuldige, Schatz, das wollte ich gar nicht sagen. Das ist mir einfach so rausgerutscht. Helmut sagte: Also gut, dann laß ich ihm die Puppenschau. Hel küßte ihn dafür an die Schläfe. Sabine sagte: Don’t spoil him. Ach Kinder, rief Klaus Buch, ich find’s wirklich schön. Mein Gott, daß das Leben so schön sein kann, wer hätte das gedacht. Und das Schönste ist, find ich, daß es auch anders sein könnte. Man hat etwas tun müssen, damit es so schön wurde, wie es in diesem Augenblick ist. In diesem Augenblick, liebe Freunde, ist Höhepunkt! Und wenn noch einer auf diesem Boot zum anderen SIE sagt, fliegt er über Bord. Den Anordnungen des Schiffsführers ist laut Schifffahrtsordnung unbedingt Folge zu leisten. Klar zur Wende. Klar. Re.
    Helmuts Füße waren durch den Kurswechsel wieder in den Schatten geraten. Er streckte sie in die Sonne. Die Fersen blieben eiskalt.
    Als sie anlegten, sagte Sabine, daß eine Segelpartie eine solche Wirkung habe, habe sie sich überhaupt nicht vorstellen können. Vom Ufer aus sehe das Segeln oft so aus, als passiere da überhaupt nichts. Sie sei jetzt wie betrunken. Aber auf die angenehmste Weise. So leicht und so schwer sei sie. Und wie sie ihre Flaut spüre. So habe sie ihre Haut überhaupt noch nie gespürt. Sie habe das Gefühl, sie sei im Olymp zu einer Massage gewesen und kehre jetzt, schwerer und schwerer werdend, zur Erde zurück.

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