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Ein fliehendes Pferd

Ein fliehendes Pferd

Titel: Ein fliehendes Pferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser , Helmuth Kiesel
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inzwischen bei Helmut und den Frauen angekommen. Einer sagte, das hätte der Bub nicht machen dürfen. Jetzt werde der Braune erst recht nicht nachgeben. Er werde rennen, bis er müde sei. Zum Stehen könne der Bub ihn nicht bringen. Wahrscheinlich werde der Braune den Buben irgendwo abstreifen.
    Der Bauer hielt Klaus, den er nur aus der Ferne gesehen hatte, offenbar für Helmuts und Sabines Sohn.
    Hel hatte sich, als Klaus auf das Pferd gesprungen war, weggedreht. So stand sie noch. Sabine ging zu ihr hin. Schon bog aus der Kurve unter den Bäumen Klaus mit dem Braunen hervor. Und als er heran war, stand der Braune. Beide schwitzten. Hel rannte hin. Alle rannten hin. Nur Helmut nicht. Otto wütete wieder, also mußte er ihn möglichst weit abseits halten. Klaus übergab das Pferd. Der Bauer sagte: Das hätte letz gehen können. Klaus lachte und sagte: Aber nein. Das ist doch ein Braver. Der ist sicher nur wegen einer Bremse durchgegangen. Der Bauer schüttelte den Kopf, als sei er mit Klaus’ Eingreifen immer noch nicht einverstanden. Dann grüßte man einander und alle gingen ihres Weges. Als sie wieder unter sich waren und alle Klaus ihre Bewunderung ausdrückten, sagte der, und legte dabei Hel den Arm um die Schulter: Siehst du, wenn ich den in Meran nicht gepackt hätte, hätte ich vor dem hier Angst gehabt. Das in Meran, erklärte er Helmut und Sabine, war nur ein Haflinger. Und Hel wollte mich zurückhalten. Also, wenn ich mich in etwas hineindenken kann, dann ist es ein fliehendes Pferd. Der Bauer hier hat den Fehler gemacht, von vorne auf das Pferd zuzugehen und auf es einzureden. Einem fliehenden Pferd kannst du dich nicht in den Weg stellen. Es muß das Gefühl haben, sein Weg bleibt frei. Und: ein fliehendes Pferd läßt nicht mit sich reden. Klaus machte große schöne Bewegungen und redete in festen Sätzen. Hel schien jetzt kleiner zu sein als er. Helmut stimmte Klaus überschwenglich zu. Das stimmt, rief er, und wie das stimmt. Sabine sagte: Woher weißt denn du das? Ach, sagte er, du hast wohl völlig vergessen, daß ich ein alter Ritter bin, was.
    Es fing schon wieder an zu regnen. Da Helmut keinen schützenden Wald mehr versprechen konnte, rannte Klaus Buch, wieder mit nacktem Oberkörper, los, um das Auto zu holen.
    Helmut ging zwischen Hel und Sabine. Hel und Helmut, diese Namen kamen ihm plötzlich vor wie zwei Werkstücke, die dafür gemacht sind, zusammengekuppelt zu werden. Er würde sie Helene nennen, wenn er etwas zu sagen hätte. Sie gingen durch eine Gruppe Arbeiter durch, die trotz des Regens ihre Teerarbeiten nicht unterbrachen. Helmut hoffte einen Augenblick lang, daß der so gelegte Asphalt nur aussehen werde wie ein richtiger und sich in Kürze wieder auflösen werde in Schotter und Geröll. Er wünschte eben, daß die auch nur Schein produzierten.
    Als man geborgen im Auto saß, sagte Sabine: Klaus, du hast uns gerettet. Klaus sagte zu Hel – diesmal fröhlich, übermütig, parodistisch –: Du magst mich nicht mehr, gell. Sie küßte ihn und sagte auch, er habe alle, alle gerettet. Helmut stimmte zu und lobte Klaus Buch noch lauter als die Frauen ihn gelobt hatten. Klaus hatte jetzt keine Angst mehr vor Ottos Schnauze. Das verstand Helmut.
    Helmut konnte den anderen nicht mehr zuhören. Er war dabei, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Er sah sich wieder einmal gezwungen, seine Lage in einem unangenehmen Bild zu sehen. Was man sieht, gibt so gut wie nichts wieder von dem, was ist, dachte er. Er sah sich auf einem Felsen liegen, der von oben her heftig von Wasser überflutet wird. Er, Helmut, kann sich fast nirgends mehr festhalten. Aber der Wasserschwall läßt einfach nicht nach. Es ist keine Frage mehr, wie das ausgehen wird. Trotzdem krallt und krallt er sich fest. Und verlängert so, da der Ausgang gewiß ist, nur die Qual des Kampfes. Er sieht sich deutlich durch den offenen Mund schnaufen, und Blicke nach oben richten, wie im 19. Jahrhundert. Sobald diese Vorstellung verbraucht war, sah er sich schwitzen und frieren. Er wußte nicht, wie das zuging, aber er fror und zugleich schwitzte er. Er hätte nicht sagen können, ob er tatsächlich schwitzte und fror oder ob er sich das nur bis zur Empfindbarkeit vorstellte.
    Als Sabine und Helmut ausstiegen, reichte ihnen Klaus noch zwei Taschenbücher nach. Eins von ihm und das von Hel. Helmut sagte, nun könne es Kronen hageln von ihm aus, er sei so gespannt auf diese Bücher, daß er sich die nächsten Tage nicht aus der

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