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Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Titel: Ein fremder Feind: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Isringhaus
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kennen, wissen Sie, dass seine schlimmsten Verletzungen viel tiefer liegen. Die Seele kann man leider nicht operieren.«
    Oda war verwundert über so viel Offenheit und Menschenkenntnis.
    »Es sind Wunden, die niemals verheilen«, sagte sie. »Ich weiß es, weil es bei mir ähnlich ist. Nur im Gegensatz zu mirwird er davon getrieben, begangenes und erlittenes Unrecht wiedergutzumachen. Er wird erst ruhen, wenn er unter der Erde liegt.«
    »Er hat viele Menschen getötet.«
    »Die meisten davon haben es verdient.«
    »Es ist eine Todsünde.«
    »Wenn der Tag kommt, an dem er dafür bezahlen muss, wird er das gerne tun, glauben Sie mir das. Aber offensichtlich wurde dieser Tag aufgeschoben. Dank Ihnen.«
    Inge Weinberg senkte den Kopf.
    »Er hat uns geraten, Deutschland zu verlassen. So schnell wie möglich. Ich glaube, dass er recht hat.«
    Oda durchfuhr es wie ein Blitz.
    »Warum?«, fragte sie.
    »Hat er es Ihnen nicht gesagt? Wir sind Juden. Wir sind in diesem Land nicht mehr erwünscht.«
    Für Oda war das ein Schock. Seit sie mit dem Forschungsamt, ihrem Onkel und damit auch dem Nationalsozialismus gebrochen hatte, erschien ihr die gesamte Ideologie so ungeheuerlich wie die Tatsache, dass sie das meiste davon niemals hinterfragt hatte. Den Juden gegenüber beispielsweise empfand sie tiefe Reue für alles, dessen sie bezichtigt wurden, und für jeden judenfeindlichen Gedanken, den sie gedacht hatte. Jetzt wurde sie von einer Jüdin gesund gepflegt. Oda schlug die Augen nieder. Sie ertrug es nicht mehr, sie anzusehen. Wieder schien Inge Weinberg in ihr Innerstes zu schauen.
    »Grämen Sie sich nicht. Es ist nicht leicht, gegen den Strom zu schwimmen. Ich bin froh über jeden, der es wagt. Und man muss nicht wie Richard gleich mehrere Menschen töten, nur weil sie einen Juden zusammengeschlagen haben.«
    Oda sah sie wieder an.
    »Was hat er getan?«
    »Die SS hat meinen Mann verschleppt und gefoltert. Er hates überlebt. Richard hat daraufhin fünf Menschen erschossen. Im Gestapo-Hauptquartier. Es war ein Massaker. Samuel kann ihm das nicht verzeihen. Zwischen den beiden herrscht Funkstille. Ich verstehe beide Seiten. Deshalb sind Sie hier.«
    »Das ist typisch für Richard«, sagte Oda. »Er fordert das Schicksal heraus, sucht den Tod. Aber es scheint, dass das Schicksal diesmal auf seiner Seite ist.«
    Inge Weinberg erhob sich.
    »Ich möchte gerne glauben, dass er ein von Gott gesandter Engel ist, der die Sünder mit dem Schwert richtet. Aber in Wahrheit macht er mir genauso viel Angst wie die Gestapo oder die SS. Es ist, als ob der Tod bei uns mit am Tisch sitzt. Seien Sie mir nicht böse. Ich wünsche mir deshalb, dass Sie beide so bald wie möglich aus unserem Leben verschwinden. Können Sie das verstehen?«
    Einige Stunden später fühlte sich Oda bereits besser. Sie bestand darauf, aufrecht im Bett zu sitzen. Inge Weinbergs Worte gingen ihr nicht aus dem Kopf. Oda wollte die Familie so schnell wie möglich von ihrer Gegenwart befreien. Sie war entschlossen, in kürzester Zeit wieder auf die Beine zu kommen. Krauss hockte auf der Bettkante und betrachtete sie mit sorgenvoll gerunzelter Stirn.
    »Du überforderst dich«, sagte er. »Lass dir Zeit.«
    »Wir wissen beide, dass wir die nicht haben. Wenn wir den Jungen schützen wollen, müssen wir Hansen schnappen.«
    »Du hast ja recht. Aber ich glaube nicht, dass es auf einen Tag ankommt«, sagte Krauss.
    Oda hatte ihm ausführlich erzählt, wie Philipp auf das Schiff und an seine neue Familie gekommen war. Krauss teilte ihre Einschätzung, dass es nicht leicht sein würde, den Jungen zu finden. Weder für Hansen noch für sie. Aber es war eben nicht unmöglich. Wenn dieser Irre es darauf anlegte, würde er HitlersSohn aufstöbern – oder besser gesagt, aufstöbern lassen. Da offensichtlich Göring im Hintergrund Druck aufbaute, mussten sie davon ausgehen, dass Hansen bald handelte. Krauss hatte keine Ahnung, wie gut die Nazis in Argentinien vernetzt waren. Soweit er wusste, lebten dort viele Deutsche. Oda lag also richtig, sie musste schnell wieder gesund werden, um es Hansen heimzuzahlen. Aber sie las in Krauss’ Gesicht, dass er sie nicht dabeihaben wollte.
    »Es kommt auf jeden Tag an«, sagte sie.
    »Grundsätzlich schon. Ich möchte nur nicht, dass du dir wegen Hansen Sorgen machst.« Er druckste herum. »Er ist zu stark für dich.«
    Sie lächelte.
    »Das warst du doch auch nicht.«
    Er lachte kurz auf.
    »Damals hast du meine Schwäche ausgenutzt.

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