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Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Titel: Ein fremder Feind: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Isringhaus
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»Söhne Odins« hatten sie sich selbst verliehen, um ihre Ausnahmestellung unddie unmittelbare Anbindung an den Führer zu signalisieren. Allerdings war ihr Stern seit dem Tod ihres Anführers gesunken. Göring hatte Hansen zu verstehen gegeben, dass es Krauss’ Bruder Edgar gewesen war, der als Anführer den Ruf der »Söhne Odins« begründete, besonders effizient und grausam zu sein. Ähnliches erwartete er nun von ihm. Sichtlich widerwillig hatte ihn Himmler in einem Besprechungsraum vier Männern vorgestellt: Gruber, Haußmann, Möhring und Straubinger. Sie waren so etwas wie die kommissarische Führungsspitze der »Söhne Odins«, wobei Gruber das Sagen hatte. Nach ein paar kühlen Worten drehte sich der Reichsführer-SS um und ließ Hansen mit den missmutig dreinblickenden Männern zurück. Dem frischgebackenen Obersturmführer war klar, dass er es ohne Hilfe des übellaunigen Quartetts nicht schaffen würde.
    »Meine Herren«, sagte er. »Ich bin mir sicher, dass die Nachricht für Sie überraschend kommt. Einige von Ihnen werden sich vor den Kopf gestoßen fühlen. Glauben Sie mir, auch mich hat es kalt erwischt. Aber da es hier um den bestmöglichen Dienst für den Führer und das deutsche Vaterland geht, können wir uns solche Eitelkeiten nicht leisten. Wir alle müssen unsere persönlichen Befindlichkeiten zurückstellen, um den ›Söhnen Odins‹ die Geltung zu verschaffen, die ihnen zusteht. Das betrifft Sie, aber insbesondere auch mich. Ich verstehe mich als Teil einer hochkarätigen Gemeinschaft, und ich fühle mich dadurch geehrt. Ohne Ihre Erfahrung kann ich diesen Posten nicht ausfüllen. Ich bin auf Ihre Unterstützung angewiesen, und ich hoffe, dass Sie sie mir nicht verwehren. Denn nur gemeinsam können wir siegen.« Hansen legte die geballte Faust auf sein Herz. Er hatte seine Hausaufgaben gemacht. »Reines Herz, reines Blut, reines Volk«, sagte er und streckte die Rechte aus.
    Die Männer wiederholten die Geste. »Reines Blut, reinesHerz, reines Volk«, murmelten sie. Hansen lächelte. Es war gar nicht so schwer. Ein Teil der Anspannung fiel von ihm ab. In weniger förmlichen Worten berichtete er von dem Auftrag, den die »Söhne Odins« von Göring erhalten hatten. Und um den Männern gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen, riss er ein paar Witze über seine langen Haare. Das Lachen, registrierte Hansen, war gekünstelt. Sie trauten ihm nicht, hielten ihn für einen Hochstapler. Er hatte es nicht anders erwartet. Solange sie ihm folgten, war es ihm egal. Bei der nächsten Gelegenheit würde er ihnen zeigen, mit wem sie es zu tun hatten. Nach zwei Stunden verabschiedete er die Männer, sah jedem in die Augen. Straubingers Hände waren kühl und feucht, in seinen Pupillen meinte Hansen Unsicherheit zu erkennen. Vielleicht sogar Angst. Hansen lächelte kalt. Irgendwie kam ihm dieser Kerl bekannt vor, ohne dass er das Gesicht hätte einordnen können.
    »Sind wir uns schon einmal begegnet?«, fragte er.
    »Meines Wissens nicht«, antwortete Straubinger. Für Hansen stand die Angst fast greifbar im Raum.
    »Falls doch, bin ich mir sicher, dass es mir wieder einfällt. Ich vergesse niemals ein Gesicht.«

25.
B ERLIN
    15. Januar 1940
Wohnung der Weinbergs
    Oda zwang sich dazu, die Augen zu öffnen. Auf ihren Lidern lasteten bleischwere Gewichte, zugleich lähmte sie die Angst vor dem, was sie erwartete. Hansen oder Krauss? Folterknecht oder Schutzengel? Sie erinnerte sich nur bruchstückhaft an die Flucht aus der Burg, hatte zu sehr unter Drogen gestanden. Sie waren gefahren, gelaufen, es wurde geschossen, geschrien, dann versank alles in namenloser Dunkelheit. Hatte Krauss Hansen getötet? Oder war es – ein grausiger Gedanke – vielleicht umgekehrt? Würde sie als Erstes in das Gesicht dieses schmierigen Mistkerls blicken, der meinte, als Mann einen Zopf tragen zu müssen? Er hatte ihr mit einem Blasrohr ein ekelhaft riechendes Pulver in die Nase geblasen, so dass sie dachte, ihr Gehirn würde explodieren. Danach war sie seltsam entrückt, körper- und willenlos gewesen, ein nebelhaftes Geschöpf, dessen einzige Verbindung zur wirklichen Welt Hansens Stimme war.
    Sie hatte ihm alles erzählt. Daran erinnerte sie sich merkwürdigerweise genau. Es war ihr ein Bedürfnis gewesen, sich zu befreien von ihren Geheimnissen, allen seelischen Ballast abzuwerfen. Später, als die berauschende Wirkung der Drogen abklang und ihr Kopf schmerzte, hatte sie mit sich gehadert. Wie konnte sie nur? Sie

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