Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
es ihr schwer, sich darauf einzulassen, als es so weit war. Sie hatte das Vertrauen verloren. Nicht in Krauss. Sondern in das Leben. Warum gab es das Gute nicht ohne das Böse? Warum wurde ihr etwas gegeben und etwas anderes dafür genommen? Das ergab alles keinen Sinn. Krauss küsste sie sanft auf die Stirn.
»Wir müssen es zu Ende bringen.«
»Ich hatte befürchtet, dass du das sagst.«
Er sah sie fragend an.
»Du willst Hansen gehen lassen?«
»Er ist es nicht wert, dass wir unser Leben aufs Spiel setzen.«
»Was ist mit Hitler? Ich habe einen Auftrag. Und eine Verpflichtung. Die Männer vom SOE sind tot, weil sie uns geholfen haben. Hansen hat sie alle drei getötet. Er muss sterben.«
»Ich glaube nicht, dass wir etwas ausrichten können.«
»Natürlich. Wir hatten nur Pech. Beim nächsten Mal wird mir Hansen nicht entkommen.«
»So meine ich das nicht. Was ändert es, wenn du Hansen tötest? Oder sogar Hitler? Ich denke, dass wir es nicht mehr aufhalten können. Diese gigantische Kriegsmaschinerie. Das ist wie ein mächtiger Felsbrocken, der einen Abhang hinunterrollt. Hat er erst mal Fahrt aufgenommen, ist er nicht mehr zu stoppen. Schon gar nicht durch zwei armselige Gestalten wie uns.«
»Ich glaube mich zu erinnern, dass wir diese Diskussion so ähnlich schon mal geführt haben. Vielleicht hast du sogar recht. Vielleicht können wir das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen. Aber entscheidend ist für mich nur noch, was sich für mich ändert. Und das wiederum ist ungeheuer viel. Aus meiner Sicht alles.«
»Warum?«
Krauss seufzte leise.
»Weil ich meinen Bruder getötet habe. Dass er so wurde, wie er war, das ist die Schuld Adolf Hitlers. Er hat ihn verführt, hat seinen Geist verseucht, ihn in ein Monster verwandelt. Es ist also nur konsequent, Hitler zu töten. Vielleicht kann ich dann besser mit dem leben, was ich getan habe.«
Was sollte Oda dieser verqueren Logik entgegensetzen? Krauss litt offensichtlich stärker darunter, dass er seinen Bruder getötet hatte, als sie dachte. Erst jetzt wurde ihr klar, dass er noch vehementer als früher den Tod suchte. Krauss fühlte sich des schlimmsten Verbrechens schuldig. Er hatte Blut von seinem Blut vergossen. Darauf stand die größtmögliche Strafe. Es gab kein Entrinnen. Krauss wollte eine letzte Tat vollbringen, seine Sünde ein wenig verringern, um dann das Urteil anzunehmen. Sie musste zumindest den Versuch wagen, seine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken.
»Warum hast du mich gerettet?«, fragte sie.
Krauss runzelte die Stirn.
»Wärst du lieber tot?«
»Nein. Aber ich möchte nicht leben, um mit anzusehen, wie du dich in den Untergang stürzt. Es muss einen Sinn haben, dass ich lebe.«
»Du wirst nach Buenos Aires fahren und dich um den Jungen kümmern. Ihn beschützen. Das ist deine Aufgabe.«
Und wenn ich nicht will?, dachte Oda. Wenn ich dich will? Aber sie sprach es nicht aus. Sie hatte Angst, dass Krauss nicht so empfand wie sie. Natürlich war er ihr zugetan, aber wie tief ging das? Er schien unzugänglich, schwer zu erreichen unter seinem Panzer aus Wut, Hass und Selbstvorwürfen. Für Liebe war da kaum Platz.
»Philipp ist in zuverlässigen Händen. Die Familie weiß von nichts. Das sind ehrbare Menschen, die werden sich gut um ihn kümmern. Meiner Meinung nach ist er da bestens aufgehoben. Dort kann er die furchtbaren Dinge vergessen, die ihm zugestoßen sind.«
»Hansen wird nach ihm suchen. Und wenn es nicht Hansen ist, dann Göring. Oder irgendein anderer Abschaum, der sich davon einen Karriereschub erhofft.«
»Ehrlich gesagt glaube ich weder dass man ihn sucht noch dass ihn jemand findet. Philipp ist in Argentinien, in Buenos Aires. Das ist eine Millionenstadt. Wer weiß, ob die Adresse überhaupt stimmt. Die Familie kann es weiß Gott wohin verschlagen haben.«
»Wenn du jemanden finden willst und weißt, wo du suchen musst, dann findest du ihn auch. Das ist nur eine Frage der Zeit.«
Oda seufzte. Krauss machte es ihr nicht leicht. Aber sie hatte nicht vor, klein beizugeben.
»Nach allem, was du mir über Hansen erzählt hast, hält er sich für einen Entdecker«, sagte sie. »Einen, der fremde Kontinenteerforscht und sich das Wissen der Eingeborenen aneignet. Ich kenne auch die Geschichte eines Entdeckers. Er hieß Cook. Wir haben in der Schule über ihn gesprochen. Cook hat die Welt bereist. Unermüdlich. Jahrelang. Er konnte nicht genug kriegen, wollte immer neue Länder erkunden. Am Ende haben ihn
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