Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
ein paar Eingeborene erschlagen und zerstückelt.«
Krauss musste lachen.
»Du willst nicht ernsthaft Hansen mit James Cook vergleichen. Hansen ist ein Nichts.«
»Ich meine, dass sich das Problem vielleicht von selbst erledigt. Hansen giert nach Erfolg, nach Anerkennung, nach Bedeutung. Er will jemand sein. Dabei verliert er den Blick für die Zusammenhänge. Das wird fatale Folgen haben. Ich glaube, dass ein Mensch wie er scheitern muss.«
»Mag sein. Aber kann ich mich darauf verlassen? Nein. Vielleicht tötet Hansen weiter, er und diese Bande von Sadisten und Psychopathen. Ich bin an einem Punkt, an dem es für mich kein Zurück mehr gibt. Es hat einen Grund, dass ich noch lebe, davon bin ich überzeugt. Es muss einen Grund haben.«
Oda fielen mehrere Gründe ein. In den sicheren Tod zu gehen, gehörte nicht dazu. Sie drehte sich auf die Seite, zog die Beine an und sah über Krauss’ Füße hinweg auf die Lichtung. Der verschneite Wald strahlte eine majestätische Würde aus. Das Einzige, was zählte, waren die Jahreszeiten. Und die Naturgewalten. Aber selbst wenn ein Sturm hier und da ein paar Kronen ausdünnte, das änderte nichts. Der Wald war unverrückbar. Ähnliches galt für die NSDAP. Die Partei schwebte über den Dingen, schöpfte ihre Macht aus der Legitimation der Masse. Was scherte es die Partei, wenn sie eines ihrer Mitglieder verlor? Nichts. Die Partei wusste nicht einmal, dass Hansen existierte.
»Ich glaube, dass Hansen vollkommen unwichtig ist«, sagte Oda. »Niemand wird ihn vermissen. Oder aus seinem Verschwinden eine Lehre ziehen.«
»Für mich ist er nicht unwichtig«, entgegnete Krauss.
»Vielleicht tust du damit sogar jemandem einen Gefallen. Hansens Berufung in die SS und seine Ernennung zum Chef der ›Söhne Odins‹ haben garantiert für Unmut unter den Männern gesorgt. Sie werden dir dankbar sein, wenn du ihn beseitigst. Du handelst also gewissermaßen im Sinne der SS. Willst du das?«
»Da kennst du den Verein aber schlecht. Selbst wenn sie sich untereinander spinnefeind sind, ist jeder Angriff von außen ein Affront. Wenn ich ihnen ihre Verletzlichkeit demonstriere, indem ich Hansen töte, macht ihnen das Angst. Und es ist gut, wenn die Gestapo Angst vor mir hat. Außerdem begehst du den Fehler, nicht nach vorn zu schauen, was Hansen betrifft. Für mich ist nicht nur entscheidend, welche Rolle er im Moment spielt. Ich frage mich, was aus ihm werden kann. Und die Antwort gefällt mir nicht.«
Es ist zum Verzweifeln, dachte Oda. Ich komme nicht an ihn ran.
»Ich will dir eine Geschichte erzählen«, fuhr Krauss fort. »Über meinen Bruder. Im Sommer 1923 hat er mir zum ersten Mal von Hitler erzählt, von den Treffen im Bürgerbräukeller, hat mich angesteckt mit seiner Begeisterung. Damals war er frisch in die SA eingetreten. Ich fand das alles unglaublich aufregend und bin natürlich mitgegangen. Heimlich, weil es meine Eltern niemals erlaubt hätten. Schließlich war ich erst fünfzehn. Aber das machte es umso spannender. Im Münchner Bürgerbräukeller war es laut, hitzig, leidenschaftlich, es wurde viel getrunken und debattiert. Ich fand vor allem das Trinken toll. Aber auch, was Hitler erzählt hat, hörte sich interessant an. Selbst wenn ich nicht allzu viel davon verstanden habe.Was bei mir hängengeblieben ist, war ein Versprechen auf ein besseres Leben, eine sichere Zukunft.«
Krauss machte eine kurze Pause, überlegte.
»Edgar schien wesentlich besser als ich zu begreifen, worum es ging. Er hat es mir sozusagen übersetzt, mich auf dem Laufenden gehalten. Aus meiner Perspektive war er drauf und dran, es zu etwas zu bringen. Im Gegensatz zu mir befand er sich in den Startlöchern zu etwas Großem. Das wollte ich auch. So sein wie er. Aber ich war der Jüngere und musste weiter in die Schule. Edgar erzählte mir, dass es für Männer wie uns in der SA nur aufwärtsgehe. Dann kamen der 8. und der 9. November. Der gescheiterte Putschversuch. Edgar war dabei, marschierte mit. Ich ahnte, dass er dabei war, habe aufgeregt vor dem Radio gesessen und gehört, wie von vielen Toten geredet wurde. Mein Gott, was hatte ich eine Angst um Edgar. Einen Tag später schaute er bei uns zu Hause vorbei. Zuerst war ich erleichtert und dann überrascht. Denn ich hatte geglaubt, Edgar sei am Boden zerstört, weil sich das Nationalsozialistentum in Luft aufgelöst und die Polizei Hitler festgenommen hatte. Aber weit gefehlt. Edgar stand wie unter Strom, redete pausenlos über die
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