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Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Titel: Ein fremder Feind: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Isringhaus
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ist, fürchte ich mich noch weniger vor ihm«, flüsterte er ihr ins Ohr.
    »Ich habe nicht einmal mehr Angst vor dem Sterben«, sagte sie.

29.
B ERLIN
    18. Januar 1940
Görings Privatresidenz Carinhall
    Göring sehnte sich nach spirituellem Beistand. Nicht von der Art, wie ihn Heermann, dieser Hochstapler, sich erdreistete anzubieten. Mit seinem Hokuspokus konnte er vielleicht Frauenzimmer wie Emmy beeindrucken. Aber nicht den Reichsfeldmarschall. Nach der Pleite mit den geheimen Dokumenten war Heermann für Göring nicht mehr existent. Meine Güte, beinahe wäre er reingefallen auf diesen Aufschneider. Schon so hatte er sich vor Hitler blamiert. Zum Glück wollte der Führer, weil er selbst in das Affentheater eingewilligt hatte, nichts mehr von dieser Episode wissen. Es war so, als habe sie nie stattgefunden. Mit einer Ausnahme: Heermann durfte Carinhall nicht mehr betreten, so viel stand fest. Wenn Emmy etwas von ihm wollte, musste sie den Quacksalber aufsuchen oder anrufen. Vielleicht bestand zwischen den beiden ja eine telepathische Verbindung. Göring feixte. Wundern würde ihn das nicht.
    Für die Art spiritueller Ansprache, die er sich erhoffte, bedurfte es keines Mediums. Der Reichsfeldmarschall sah auf die Uhr. Es war elf Uhr vormittags. Himmler hatte er für dreizehn Uhr einbestellen lassen, pünktlich zum Mittagessen. Genug Zeit für einen kleinen Spaziergang. Göring ließ sich von Kropp seine Fellmütze und seinen Lieblingspelzmantel bringen – aus sündhaft teurem Zobel, das Geschenk eines russischen Abgesandten –, schlüpfte hinein und trat durchs Portal von Carinhall ins Freie. Die eiskalte Luft aktivierte alle seine Sinne. Er liebte den Winter, weil er schnell schwitzteund ihm die Sommerschwüle auf den Kreislauf schlug. In den warmen Monaten waren seine Haarspitzen am Hinterkopf stets leicht feucht, und selbst in den feinen Falten unter seinen Augen perlten Schweißtröpfchen. Zwar hasste er es genauso zu frieren, aber dagegen konnte man sich wappnen. Außerdem schätzte er eine warme, kaminbeheizte Stube. Da schmeckten ein fettes Essen und ein guter Rotwein gleich viel besser. Winter war die Zeit für Genießer. Leider legte er jedes Mal ein paar Kilo zu und musste sich daraufhin die endlosen Tiraden seines Leibarztes anhören.
    Schon nach vielleicht zweihundert Metern merkte er, dass ihn das Laufen ermüdete. Göring schob es auf den Pelz, der schwer auf seinen Schultern lastete. Er hätte den dünnen Mantel anziehen sollen. So kalt war es auch wieder nicht. Eigentlich stapfte er gerne durch den Schnee, weil ihn das Knirschen seiner Schritte an wundervolle, unbeschwerte Winter auf Burg Veldenstein erinnerte, wo er einen großen Teil seiner Kindheit verbracht hatte. Aber nun schoss ihm, wenn er an die Burg dachte, diese unselige Befreiungsaktion durch den Kopf. Das Leben hielt weiß Gott mehr Turbulenzen parat, als gesund für ihn sein konnte. Göring bog in einen Pfad ein, der sich am zugefrorenen Wuckersee entlangschlängelte. Die halbe Strecke hatte er geschafft. Nach der nächsten Biegung waren bereits die Findlinge vor dem Mausoleum zu sehen. Er marschierte gemächlich weiter, den Oberkörper nach vorn gebeugt, die Hände auf dem Rücken verschränkt, ein brauner, fast quadratischer Fleck in der weißen Winterlandschaft. Zehn Minuten später stand er vor der Treppe, die hinabführte zur Gruft. Dort unten ruhte seine geliebte Carin, in seiner Nähe, mit freiem Blick auf den See. Er stieg die Stufen hinunter, öffnete das schmiedeeiserne Portal und trat in den schlichten, mit Kerzen erleuchteten Raum, an dessen Stirnwand Carins Sarg aufgebahrt war. Kropp musste dafür sorgen, dass dieKerzen tagsüber brannten, falls Göring seiner verstorbenen Frau einen Besuch abstatten wollte. Erschöpft sank er auf den Stuhl vor dem Sarg und nahm die Fellmütze ab. Durch die dicken Mauern und die Kerzen war es in der Gruft ein paar Grad wärmer als draußen. Im Sommer dagegen herrschte im Gewölbe angenehme Kühle; ein weiterer Grund, warum der Feldmarschall sich in dieser Zeit gerne dort aufhielt.
    »Guten Morgen, meine Liebste«, sagte er. »Ich hoffe, du frierst nicht allzu sehr. Kann mich kaum erinnern, wann wir zuletzt einen so strengen Winter hatten. Na ja, höchstwahrscheinlich macht dir die Kälte nichts mehr aus, da, wo du jetzt bist. Aber meinen alten Knochen setzt sie ganz schön zu.«
    Göring horchte in sich hinein. An manchen Tagen hier draußen meinte er, Carins Stimme zu hören. Nicht

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