Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
überlegte Aktion. Auch Schulz-Kampfhenkel hatte nach Hansen gegriffen, sich an ihn geklammert. Eng umschlungen standen sie nun da, die Körper dicht aneinandergepresst, Gesicht an Gesicht. In diesem Augenblick flammte in Hansen ein Verlangen auf, das zurückreichte bis in ihre Jugend, bis zu ihren Streifzügen durch herbstliche Wälder, in denen sich zwar seine edlen Retterphantasien erfüllten, aber nicht seine erhoffte Belohnung, und mit einem Schlag wurde ihm bewusst, dass sie niemals erloschen war, dass er sie lebenslang mit sich herumgeschleppt hatte, eine unerwiderte, unbegreifliche, aussichtslose Leidenschaft. Hansen roch Schulz-Kampfhenkels rauchgeschwängerten Atem, und eine diffuse Gier flutete durch seine Zellen. Erst der Blick seines alten Schulkameraden holte ihn zurück in die Wirklichkeit. Aus den Augen Schulz-Kampfhenkels sprach ungläubiges Entsetzen. Er stieß Hansen mit beiden Händen weg, taumelte selbst, bis er festen Stand fand. Der Moment war vorbei.
»Was willst du hier?«, keuchte Schulz-Kampfhenkel empört. »Du hast mich beinahe umgebracht.«
»Ich habe dich gerettet«, antwortete Hansen. »Schon wieder. Das wievielte Mal eigentlich? Ich weiß es nicht. Sag du es mir.«
»Red keinen Quatsch. Du wolltest mich über die Brüstung stoßen, du Lump.«
Hansen schüttelte sacht den Kopf.
»Wie lange kennen wir uns jetzt, Otto? Mehr als zwanzig Jahre. Ich habe dir in dieser Zeit nie ein Härchen gekrümmt, sondern war für dich da, wenn du mich gebraucht hast. Und ich habe mir nie angemaßt, öffentlich ein Urteil über dich zu fällen, so wie du es über mich getan hast.«
Schulz-Kampfhenkel sammelte den Mantel wieder ein, der bei dem Tumult zu Boden gefallen war, klopfte etwas Schnee ab und schlüpfte hinein.
»Du bist also wegen des Gutachtens hier«, sagte er mit ruhigerer Stimme als zuvor. »Ich nehme an, Göring hat dir davon berichtet.«
Hansen stützte sich auf die Brüstung. Ein eisiger Windstoß raubte ihm fast den Atem.
»Bin ich wirklich so ein schlechter Mensch, Otto?«, fragte er, ohne sich nach ihm umzudrehen.
»Ja, das bist du«, antwortete Schulz-Kampfhenkel. »Und das weißt du auch. Das Gutachten war im Übrigen nicht meine Idee. Himmler hat mich darum gebeten, nachdem du ihm deine Guyana-Pläne präsentiert hast. Es stört dich offensichtlich nicht, dich mit fremden Federn zu schmücken.«
»Das ist lächerlich. Du erhebst doch wohl keine Ansprüche auf etwas, das jedem hätte einfallen können? Das ist nur dein Neid, damit nicht als Erster vorgesprochen zu haben. Immer und überall der Erste sein, das ist es, was du willst. Otto Schulz-Kampfhenkel, der große Entdecker und Eroberer. Ein jämmerlicher Wicht bist du, sonst nichts, einer, der seine Freunde verrät.«
»Hör doch auf! Freundschaft, dass ich nicht lache. Als ob du wüsstest, was der Begriff bedeutet. Freunde teilen ihr Leben, ihre Erfahrungen. Du hast dich abgesondert, dein eigenes Ding durchgezogen. Und wehe, jemand kam dir zu nahe.«
Hansen wandte sich um.
»Wer hat sich denn abgesondert, als es darum ging, den Ruhm zu teilen? Seit wir zurück in Deutschland sind, habe ich nur durch die Zeitungen von dir gehört. Du bist die Leiter hinaufgefallen, hast dich im Glanz der Öffentlichkeit gesonnt und rundum abgesahnt. Kahle und Krause haben davon profitiert. Aber ich? Fehlanzeige. Dass ich in deinem Film überhaupt auftauche, grenzt an ein Wunder. Manchmal, wenn ich die Berichte lese, kommt es mir vor, als sei ich gar nicht dabei gewesen am Jary, als habe ich mir das nur zusammenphantasiert. Also erklär du mir bitte nicht, was Freundschaft bedeutet. Du hast mich hängenlassen. Wahrscheinlich wäre ich in der Gosse verrottet, wenn ich mich nicht selbst aus dem Sumpf gezogen hätte. Und sieh her: Heute stehe ich im Rang über dir, Untersturmführer Schulz-Kampfhenkel.«
»Noch so eine Idiotie. Was hat jemand mit deiner Gesinnung in der SS verloren? Jemand, der sich ausschließlich für sich selbst interessiert? Das Wohlergehen des Vaterlandes ist dir doch vollkommen schnuppe. Als ob du dich für Politik erwärmen könntest. Niemals. Nur wenn es, wie die Statthalterschaft in den Guyanas, mit deinen Zielen zusammenfällt. Das ist das eine. Viel schwerer wiegt dein degeneriertes Wesen. Du bist kein Arier. Wenn du jemals einer warst, was ich stark bezweifle, hast du den arischen Kern in dir abgestoßen. In meinen Augen bist du genauso minderwertig wie die Wilden am Jary.« Schulz-Kampfhenkels Augen
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