Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
glänzten. »Ja, Heinrich, ob du es wahrhaben willst oder nicht, du bist ein Wilder. Durch und durch.«
In diesem Moment wäre Hansen ihm am liebsten an dieGurgel gesprungen, hätte die Arroganz aus diesem grenzenlos bornierten Herrenmenschen herausgeprügelt. Aber das war nach der Erkenntnis von eben nicht mehr möglich. Hansen war gelähmt von dem Bewusstsein, lebenslang versagt zu haben. Bevor er etwas erwidern konnte, sprach Schulz-Kampfhenkel weiter.
»Himmler hat mir erzählt, dass du einen deiner eigenen Leute vor den Augen seiner Kameraden erschossen hast. Außerdem sollst du mit Giften der Indios und mysteriösen Tränken operieren, um Gefangenen ihre Geheimnisse zu entlocken. Das zeigt mir, wie krank du bist, Heinrich. Du lebst im Wahn, ein Indianer zu sein. Ein Schamane. Aber ich lasse mich davon nicht blenden. Mich hat ein SS-Hauptsturmführer zu Hause besucht. Er hat gesagt, dass du einen Menschen vergiftet hast. Ich habe ihm ein Gegenmittel mitgegeben. Von dir lasse ich den Ruf meiner Expedition nicht in den Schmutz ziehen.«
Hansen lächelte falsch.
»Du bist ein solcher Narr, Otto. Das mit dem Gegengift weiß ich längst. Was du aber nicht weißt, ist, wen du gerettet hast. Eine Frau, die zu den Staatsfeinden gehört. Görings Nichte, eine kaltblütige Killerin, die sich mit einem Deutschen, der für die Briten arbeitet, zusammengetan hat. Er war es, der bei dir angeklopft hat. Und du fällst auf seine Scharade herein. Du bist ja so was von linientreu, Otto. Was meinst du, was passiert, wenn das herauskommt? Ob du dann weiter die Gunst Himmlers genießt?«
Schulz-Kampfhenkels Selbstsicherheit schien zu bröckeln. Seine Pupillen flirrten hin und her, als durchforste er seine Erinnerung nach einer Bestätigung dafür, einen Fehler begangen zu haben.
Das soll der Mann sein, nach dem ich mich verzehre?, fragte sich Hansen. Dieses wankelmütige, narzisstische Wesen?Unmöglich. Die Triebe spielten ihm einen Streich. Langsam wurde es Zeit, von hier zu verschwinden. Ihr Gespräch führte zu nichts.
»Wir werden sehen, wer am Ende besser im Sattel sitzt«, sagte er. »Der Wilde oder der Entdecker.«
Schulz-Kampfhenkel hatte seine Irritation überwunden.
»Deine Tage sind gezählt«, entgegnete er abfällig. »Das weiß ich aus erster Hand.«
»Wenn du dich da mal wieder nicht täuschst. Egal.« Hansen trat so nah an Schulz-Kampfhenkel heran, dass sich der Dampf ihres Atems vermischte. »Bevor ich gehe und dich hoffentlich nicht mehr wiedersehen muss, möchte ich dir einen guten Rat geben: Komm mir niemals mehr in die Quere. Beim nächsten Mal werde ich dich nicht retten. Darauf kannst du dich verlassen.«
»Ein nächstes Mal wird es nicht geben«, entgegnete Schulz-Kampfhenkel.
»Mach’s gut, Otto«, sagte Hansen, drehte sich um und ließ den Mann, dessen Anerkennung und Zuneigung ihm einmal mehr bedeutet hatten als alles andere auf dieser Welt, hinter sich zurück.
Eine halbe Stunde später stand Hansen in seinem Büro und starrte wieder auf das klirrend kalte Berlin. In seinem Kopf lief jedoch ein anderer Film ab. Er versuchte, seine Zeit mit Schulz-Kampfhenkel auf Gefühle abzuklopfen. Nicht, dass es etwas geändert hätte. Aber Hansen wollte sich klarwerden über das, was er war. Ein primitiver Wilder, wie es sein alter Schulfreund zu wissen meinte? Oder doch einer, der zu Höherem berufen war? Hansen glaubte, dass die Antwort in der Beziehung zwischen ihm und Schulz-Kampfhenkel verborgen war. Darin lag der Ursprung für sein Handeln. Lautes Klopfen riss ihn aus seinen Grübeleien.
»Herein.«
Die Tür ging auf. Es war Weber. Er brachte eine Nachricht.
»Ein Förster aus Potsdam hat gemeldet, dass eine lange leerstehende Hütte seit ein paar Tagen bewohnt ist. Er habe ein Paar gesehen, behauptet er. Der Mann vermutet, dass es sich dort versteckt hält. Das könnte ein Volltreffer sein.«
Es war ein Volltreffer. Hansen wusste es sofort. Er strich über das unter seiner Kleidung verborgene Amulett. Das Schicksal meinte es gut mit ihm. Es gab dem Wilden eine Chance zu zeigen, was in ihm steckte.
31.
P OTSDAM
19. Januar 1940
Odas Jagdhütte
Um vier Uhr morgens war Krauss auf den Beinen, schlich sich leise aus dem Schlafzimmer. Oda stöhnte und drehte sich wieder um. In der Wohnstube zog Krauss sich an, streifte wegen der Kälte zwei Pullover über. Einen Moment überlegte er, ob er Hannahs Amulett ablegen sollte, weil es kalt auf seiner Haut klebte, entschied sich dann aber dagegen. Es
Weitere Kostenlose Bücher