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Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Titel: Ein fremder Feind: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Isringhaus
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erinnerte ihn an seine Aufgabe. Zum Schluss schlüpfte er in den weißen Anstreicher-Overall. Damit war er einigermaßen gut getarnt. Krauss hatte vor, auf die Jagd zu gehen. Ihre Vorräte waren so gut wie aufgebraucht, das Ende ihres Exils absehbar. Erlegte er ein Wildschwein, konnte er ihren Abschied von der Hütte um ein paar Tage hinauszögern. Er hatte die Woche mit Oda genossen, es war wie ein Urlaub vom Chaos, das hinter diesen Wäldern hauste. Sie besaßen kein Radio, waren abgeschnitten von allen Informationen. Ein paar Wochen in dieser abgeschiedenen Idylle, und der Krieg würde so fern erscheinen wie die Oberfläche des Mondes. Krauss und Oda wussten natürlich, dass sie sich einer Illusion hingaben, dass sie das taten, was die meisten Menschen am besten beherrschten – das Unangenehme, Unvermeidliche auszublenden, zu verdrängen. Aber sie wollten ihre gemeinsamen Tage genießen, solange es ging.
    Krauss sah aus dem Fenster. Der Vollmond tauchte die Lichtung in fahles Gelb. Es hatte ein wenig geschneit, die frischen Flocken glitzerten auf dem verharschten Untergrund. Nebelschwaden zogen über die Baumwipfel, schwappten aufdie Wiese, wurden vom Wind zerrieben. Ideales Wetter zum Jagen. Wenn sich Wild auftreiben ließ. Viele Tiere waren in diesem strengen Winter verendet, fanden keine Nahrung oder erlagen den arktischen Temperaturen. Krauss nahm das Fernglas und suchte die Lichtung ab. Nichts. Die Tiere hielten sich vom Haus fern. Er würde ans andere Ende der Freifläche gehen müssen, rund siebenhundert Meter. Vielleicht hatte er dort mehr Glück. Falls nicht, kannte er eine andere Stelle, weiter östlich. Oda hatte sie ihm vor zwei Tagen bei einem Spaziergang gezeigt. Es war ein Weiher, dessen Zulauf, ein kräftig sprudelnder Bach, nicht gefror. Überall im Schnee fanden sie Spuren von Tieren, die den Platz als Wasserstelle nutzten.
    »Das hier ist sozusagen die Theke des Waldes«, hatte Oda begeistert gesagt. »Hier treffen sich alle Vierbeiner auf einen Schwatz, bevor sie in ihre warmen Nester kriechen.«
    »Besser als jede Bar, die ich kenne«, entgegnete er.
    »Ich würde mich freuen, wenn du mich hierhin ausführst, wenn alles vorbei ist. Ab heute ist das unser Platz, abgemacht?«
    »Abgemacht.«
    Eine halbe Stunde warteten sie versteckt hinter Sträuchern, ob sich ein durstiger Waldbewohner zeigen würde, aber nichts geschah. Durchgefroren, aber guter Dinge zogen sie wieder ab. Krauss verschwieg Oda, dass er noch andere Spuren gesehen hatte, menschliche. Wahrscheinlich war es ein Jäger oder der Förster, der sein Revier kontrollierte. Sosehr sie es sich auch wünschten, sie waren hier nicht allein. Der Grat zwischen der Illusion, sich auf sicherem Territorium zu befinden, und der Realität, dass es nirgendwo absolute Sicherheit gab, schon gar nicht in unmittelbarer Nachbarschaft des Feindes, war sehr, sehr schmal. Das musste er sich regelmäßig vor Augen führen. Doch je länger sie unbehelligt blieben, desto mehr wähnten sie sich unangreifbar. Vor allem Oda schien von Tag zu Tag gelöster. Ein fataler Irrglaube, der sie das Leben kostenkonnte, dachte Krauss. Deshalb blieb er wachsam, schreckte beim kleinsten Geräusch hoch. Einmal hatten mehrere Flugzeuge die Lichtung in großer Höhe überflogen. Bomber. Görings Luftwaffe. Es war wie ein Gruß aus der richtigen Welt, in der eine genügsame Stille wie in diesem Wald nicht mehr existierte.
    Krauss packte eine Umhängetasche voll mit Munition für den Karabiner. Zuletzt hatte er versucht, mit dieser Waffe Göring zu erschießen, und war dabei auf Oda gestoßen. Das weitreichende Scharfschützengewehr war mit einem Schalldämpfer versehen, was ihm im Wald sehr gelegen kam. Zuletzt steckte Krauss die Walther ein, aus reiner Gewohnheit. Er warf noch einen Blick in die Tasche, die sie von Smith geerbt hatten. Darin waren zwei Maschinenpistolen, mehrere Handfeuerwaffen und Handgranaten, das restliche Waffenarsenal des SOE-Kommandos. Nichts davon taugte für die Jagd. Krauss zog sich eine weiße Wollmütze und Handschuhe über und verließ das Haus.
    Draußen empfing ihn eiskalte Luft, die würzig nach Kiefern roch. Krauss’ Stiefel knirschten im Schnee, der zwanzig Zentimeter hoch lag. Er schätzte, dass über Nacht zwei bis drei Zentimeter Neuschnee gefallen waren. Nichts, was ihn von seinen Plänen abhalten würde. Krauss stapfte langsam im Schutz des Waldes am Rande der Lichtung entlang. Nach hundert Metern blieb er stehen, wandte sich um und

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