Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
Hütte und kam mit seinem Skizzenblock und einem Stift zurück. Er legte die Utensilien vor seinem Gast auf den Tisch. Der Indio begann sofort zu zeichnen. In wenigen Sekunden kritzelte er das blanke Blatt mit unterschiedlich großen Strichmännchen voll. Auf Hansen wirkten sie wie von Kinderhand gekrakelt. Dann fing der Indianer wieder an zu reden, zeigte auf eine Figur und erklärte sich dazu wortreich.
»Ich glaube, es geht um seinen Stamm«, sagte Raimundo. »Er stellt uns die Leute aus seinem Dorf vor. Der Größte ist der Tuschaua, der Häuptling.«
»Tuschaua?«, fragte der Indio plötzlich und zeigte auf Schulz-Kampfhenkel. Der nickte sofort.
»Tuschaua«, sagte er und verbeugte sich leicht. Hansen ödete das über die Maßen an. Was für ein aufgeblasener Wicht.
»Frag ihn nach seinem Namen. Das haben wir bis jetzt versäumt«, sagte Schulz-Kampfhenkel zu Raimundo. Der Indianer antwortete mit mehreren Sätzen.
»Er sagt, er heißt Pituma. Aber so, wie ich ihn verstehe, will er von uns einen Namen in unserer Sprache. Das würde ihn stolz machen.«
Schulz-Kampfhenkel überlegte. Hansen war gespannt, was dem großen Forscher einfallen würde. Nach einer Minute wandte sich der Expeditionsleiter an den Indianer.
»Wir nennen ihn Winnetou«, sagte er.
4.
B ERLIN
15. September 1939
Wohnung der Weinbergs
Krauss schlug die Augen auf. Das war nicht die Dunkelheit, die er sich erhofft hatte. Er befand sich immer noch in dem merkwürdig schmalen Raum mit den hohen Wänden, der von einer für Krauss unsichtbaren Lichtquelle spärlich ausgeleuchtet wurde. Sein Körper schien jemand anderem zu gehören, er spürte keinerlei Schmerzen. Neben dem Bett stand ein ihm unbekannter Mann und musterte ihn mit dem kalten Blick eines Wissenschaftlers. Er war groß und schlank, fast hager. Auf seiner Nase saß eine Nickelbrille, um den Mund hatten sich senkrechte Falten ins Gesicht gegraben. Der Mann trug einen ordentlichen Seitenscheitel, an den Schläfen waren die Haare leicht ergraut. Er wirkte gebildet, selbstbewusst. Krauss schätzte ihn auf Mitte, Ende vierzig.
»Sie sind wach, das ist gut«, sagte er mit einer angenehmen, warmen Stimme. Krauss hätte gerne geantwortet, aber er brachte wieder nichts als ein Krächzen heraus. Er räusperte sich.
»Sparen Sie sich Ihre Kräfte«, sprach der Mann weiter und hob beschwichtigend eine Hand, um seine Worte zu unterstreichen. »Noch sind Sie nicht über den Berg. Sie haben schwere Verletzungen und viel Blut verloren. Zudem hat sich eine ihrer Wunden leicht entzündet. Ich besitze hier leider nicht die notwendigen Mittel, um Sie adäquat zu versorgen. Das hier …«, er machte eine raumgreifende Geste mit der Hand, »… ist keine gut ausgestattete Krankenstation, sondern nur ein Notbehelf. Für diejenigen, die nichts mehr zuverlieren haben. Deshalb müssen Sie selbst an Ihrer Genesung mitarbeiten. Ohne den Willen, zu überleben, räume ich Ihnen wenig Chancen ein.«
Es bedurfte keines besonderen Einfühlungsvermögens, um den sarkastischen Unterton des Mannes herauszuhören. Krauss vermutete, dass er einen Mediziner vor sich hatte, nur redeten die normalerweise anders. Mitfühlender, diplomatischer. Der Mann hingegen nahm kein Blatt vor den Mund.
»Wer …?«, brachte Krauss hervor.
»Mein Name ist Weinberg«, sagte der Mann. »Ich bin Arzt. Chirurg. Manchmal auch Gynäkologe. HNO-Spezialist, Kinderarzt, Hautarzt, Orthopäde, Kardiologe. Was eben gerade so anfällt. Bei mir ergibt das Wort Allgemeinmediziner noch Sinn. Hausarzt übrigens auch. Weil ich niemals das Haus verlasse.«
Krauss konnte sich darauf keinen Reim machen. Weinberg schien verbittert, aus welchem Grund auch immer. Warum hatte er ihn nicht sterben lassen? Krauss mochte sich das Lamento des Arztes nicht weiter anhören. Er hatte schon lange jegliches Interesse am Leben verloren. Doch Weinberg fuhr fort.
»Ich möchte Ihnen einen knappen Überblick über Ihre Situation geben. Vertiefen können wir das gerne später, wenn es Ihnen besser geht. Sollte es Ihnen besser gehen.« Er machte eine Kunstpause.
»Also: Sie haben vier Schussverletzungen. Eine Kugel hat Sie oberhalb des rechten Lungenflügels erwischt. Das Projektil ist aus dem Rücken wieder ausgetreten, hat auf seinem Weg Muskel- und Nervengewebe zerstört, aber nichts Lebenswichtiges. Eine Kugel musste ich aus Ihrem linken Oberschenkel operieren. Sie hat nur knapp die Hauptschlagader verfehlt. Etwa um einen Zentimeter, würde ich sagen. Bei
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