Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
lassen würde von diesen Witzfiguren. Sie waren ihm nicht gewachsen. Hansen dachte an die Nacht, als Krauss ihn im Schlaf in seiner Wohnung überwältigt hatte, an dessen hellblaue Augen, denen jeder Schimmer von Barmherzigkeit fehlte. Damals hatte Krauss abgestritten, dass sie Seelenverwandte seien. Aber Hansen wusste es besser. Das Töten war ein fester Bestandteil ihres Daseins. In ihrer Profession hatten sie es beide zur Meisterschaft gebracht. Deshalb weilte Falk mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr unter den Lebenden, deshalb musste Hansen so bald wie möglich aus Belem verschwinden. Weil das nächste Schiff nach Europa erst in zwei Monaten auslief, brauchte er einen Plan. Die Lösung erschien ihm dann so naheliegend, dass er sich fragte, warum er nicht früher darauf gekommen war: Er würde in den Dschungel gehen.
Noch ein anderes Argument sprach für dieses beschwerliche Unterfangen. Mit seiner Batterie an Giften im Rücken hatte Hansen sich als etwas Besonderes gefühlt, unberechenbar und angsteinflößend, wie eine Naturgewalt. Mit anzusehen, wie sein mühsam der Wildnis abgerungener Vorrat verbrannte, war schmerzhaft gewesen. Auch das hatte er Krauss zu verdanken. Nun gedachte er dieses Arsenal wieder aufzufüllen, mit tatkräftiger Hilfe von Präräwa und Saracumano. Das Gift würde ihm daheim in Deutschland die Aura des Außergewöhnlichen zurückbringen, ihm Respekt verschaffen in der Hackordnung der deutschen Herrenrasse. Es würde, so hoffte er, seinen Wert in den Augen Hitlers noch erhöhen. Je intensiver er darüber nachdachte, desto mehr erschien Hansen seine verwegene Idee fast zwingend. Zwei Probleme galt es allerdings zu lösen: Den Jungen bis zu ihrer Rückkehr in die Zivilisation bei guter Gesundheit zu halten und Männerzu finden, die bereit waren, mit ihm das Abenteuer zu wagen. Allein ließ sich die Reise den Fluss hinauf unmöglich bewältigen.
Für den Jungen kaufte Hansen vor allem Atrepin, um die garantiert auftretenden Entzündungen zu behandeln. Außerdem schwatzte er Gummisuchern, die in Belem eine Auszeit vom Dschungel nahmen, deren Medikamente ab. Das sollte reichen, denn Kinder verfügten Hansens Meinung nach über einen widerstandsfähigen Organismus und waren in vielerlei Hinsicht belastbarer als Erwachsene. Das Problem, willige Begleiter zu finden, schien Hansen weitaus diffiziler. Er stöberte Raimundo auf, einen der Caboclos, auf die bei ihrer Expedition immer Verlass gewesen war. Zwar erkannte ihn Raimundo sofort, aber seine Freude hielt sich in Grenzen, genauso wie seine Bereitschaft, noch einmal bis zu den Aparai vorzudringen. Hansen bot ihm eine stattliche Summe, doch der Caboclo blieb stur; es war unübersehbar, dass er dem Deutschen misstraute. Weil der insistierte, nannte ihm Raimundo einige Namen von Männern, bei denen er sein Glück versuchen sollte. Sie wohnten in noch ärmlicheren Gegenden und waren nicht in der Position, Hansens Angebot abzulehnen – obwohl in ihren von der Armut stumpfen Gesichtern deutlich geschrieben stand, wie unwohl sie sich dabei fühlten. Hansen hätte sich gerne Zeit gelassen, sorgfältiger ausgesucht. Aber auch ihm blieb keine Wahl. Er hoffte, dass der Dschungel gnädig mit ihrer kleinen Reisegesellschaft umging, weil er vermutete, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Caboclos und ihm größeren Belastungsproben nicht gewachsen sein würde. Drei Männer willigten ein, Hansen zu begleiten, Alfredo, José und Manuel. In zwei Wochen, schätzten sie optimistisch, müsste es ihnen gelingen, die Strecke zu bewältigen.
Sie hatten sich geirrt. Der Fluss verlangte ihnen mehr ab als erwartet, das Überwinden der Stromschnellen saugte die Kraftaus ihren Knochen. Hansen erinnerte sich zwar an die Strapazen von damals, aber er hatte verdrängt, was das bedeutete. Es war beinahe eine glückliche Fügung, dass der Junge sie dazu zwang, einen Tag zu pausieren. Als Hansen zurück ins Lager kam, schaukelte Philipp noch in der Hängematte, während Alfredo über dem Feuer Fische grillte. Hansen war froh, dass die Männer etwas zu essen hatten, fürchtete aber, dass sie den Respekt vor seinen Jagdkünsten bald verlieren würden. Manuel und José beäugten ihn komisch von der Seite. Schmiedeten sie Pläne, wie sie den Weißen, der sie in die Wildnis trieb, loswerden konnten? Hansen ermahnte sich dazu, wachsam zu sein, das Trio nicht aus den Augen zu lassen. Er schaute nach dem Jungen. Das Fieber war gesunken, es ging ihm
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