Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
Leibe aussaugen würden, von Blutegeln, deren Bisswunden sich infizierten, und von Piranhas, die in Sekundenschnelle das Fleisch von seinen Knochen knabberten, sollte er sich mit aufgeschrammten Beinen ins Wasser wagen. Am meisten aber beeindruckte Krauss die Geschichte von einem winzigen Fisch, dem Candirú. Wenn ein Lebewesen ins Wasser urinierte, folgte dieser Wels dem Geruch und drang in die Harnröhre seines Opfers ein, hakte sich dort hartnäckig fest, verhinderte das Entleeren der Blase und bereitete dem Wirt qualvolle Schmerzen. Am Ende war eine Operation oft unvermeidlich, oder der Betroffene starb an den Folgeinfektionen. Offensichtlich amüsiert über Krauss’ angeekeltes Gesicht lächelte der Arzt.
»Sie können das jedoch verhindern, indem Sie Ihr bestes Stück beim Pinkeln über der Wasseroberfläche halten«, riet er. Gegen Malaria verschrieb er ihm Chinin, ferner Atrepin, um Schmerzen und Entzündungen einzudämmen. Das Glück, das Krauss brauche, um eine solche Reise unbeschadet zu überstehen, könne er ihm allerdings nicht verschreiben. Er solle auf jeden Fall darauf achten, sich von Schlangen und grellbunten Fröschen fernzuhalten, weil diese ein Gift injizierten, gegen das kein Kraut gewachsen sei.
»Damit kenne ich mich aus«, entgegnete Krauss dem verdutzten Mediziner.
Leicht verunsichert betrat er am nächsten Morgen das Boot, wohl wissend, dass er sich auf unbestimmte Zeit in die Hände der Indianer begab. Ohne sie wäre er in der Wildnis verloren. Krauss hatte alternativ darüber nachgedacht, in Belem auf Hansen zu warten. Irgendwann musste er ja wieder dort auftauchen. Aber es erschien ihm zu riskant. Womöglich wählte Hansen eine andere Route, oder er verfaulte im Dschungel nach einem Schlangenbiss. Was Krauss jedoch am meisten überzeugte, diesem Psychopathen zu folgen, war der Junge.Philipp war noch ein Kind, den Gefahren des Dschungels nicht gewachsen. Natürlich handelte es sich bei ihm um Hansens Kapital, das ihm nur lebend etwas nutzte. Aber Krauss sprach diesem sadistischen Mörder die nötige Reife ab, um den Jungen zu beschützen. Irgendwann würde Hansen die Geduld verlieren. Er hatte sich nicht unter Kontrolle. Krauss musste ihn erledigen, bevor das passierte.
Die Reisetage verbrachten sie weitgehend schweigend. Winnetou signalisierte Krauss per Handzeichen, wann er wie zu rudern habe. Untereinander verständigten sich die Indianer mit kurzen Kommandos. Beide wussten, was zu tun war. Es gab nicht viel zu sagen. Bereits am ersten Abend bedeutete Winnetou Krauss, dass er sein Hemd ausziehen solle. Auf einem Bananenblatt hatte der Indianer eine übelriechende Paste angerichtet.
»Piums«, sagte er und ließ seine Hände vor Krauss’ Gesicht herumschwirren. Das war eindeutig. Nachdem Krauss sein Hemd abgestreift hatte, betrachteten die Indios zunächst neugierig seine Wunden. Die wulstigen Narben der Einschusslöcher glänzten noch leicht rosa. Winnetou strich mit den Fingern darüber, Krauss ließ ihn gewähren. Der Indio sagte etwas in seiner Sprache, nickte anerkennend. Er sah Krauss in die Augen, der wandte den Blick nicht ab. Winnetou wusste nun, mit wem er es bei seinem Begleiter zu tun hatte. Krauss war ein Krieger.
Die Paste roch scharf. Dann wirkt sie wenigstens, dachte Krauss. Schweigend ließ er sich von dem Indio einschmieren, der diese Prozedur sehr genau nahm. Winnetou war offensichtlich an seiner Gesundheit gelegen. Eine gute Nachricht. Unbehelligt von den Moskitos und der Angst, hinterrücks im Urwald gemeuchelt zu werden, konnte Krauss sich gleich doppelt entspannen. Er bedankte sich lächelnd bei seinem Reiseführer.
»Gute Nacht, Papa, schlafe gut«, sagte Winnetou und ging zu seiner Hängematte.
In dieser Nacht lag Krauss lange wach und starrte in den Himmel. Über den Baumwipfeln funkelte ein Sternenzelt, wie er es in Europa niemals erlebt hatte. Er fühlte sich unbedeutend angesichts dieser Weite und Fülle, wie ein Sandkorn an einem endlosen Strand. In dieser Umgebung erschien ihm das, was sich in Europa abspielte, unwirklich. Dort herrschte Krieg, angezettelt aus grotesken Gründen, von einem einzigen Menschen. So weit entfernt von der Heimat fiel es Krauss noch schwerer, Hitlers Verstiegenheit nachzuvollziehen. Was maßte sich dieser Mann an, Millionen ins Verderben zu stürzen? Und warum lehnte sich niemand dagegen auf? Krauss begriff es nicht. Soweit er es verfolgt hatte, rollte die Kriegsmaschinerie unaufhaltsam weiter, war die deutsche
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