Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
besser. Philipp sprach nicht viel, war die meiste Zeit in sich gekehrt. Er folgte Hansen, das war die Hauptsache, hatte ihm anscheinend die Geschichte der vereitelten Entführung abgekauft. Aber so richtig wurde Hansen nicht schlau aus ihm. Dafür fehlte ihnen eine gemeinsame Verständigungsbasis. Philipp sprach ein wenig Deutsch und mittlerweile ein paar Worte Spanisch, hauptsächlich aber Englisch, das Hansen wiederum nicht beherrschte. Daher wusste er nicht zu sagen, ob der Junge den Sinn ihrer Reise in den Dschungel begriff. Hansen hatte ihm zu erklären versucht, dass sie sich verstecken mussten, und das Aufregende an dem Ausflug hervorgehoben. Aber wahrscheinlich wäre das ohnehin egal gewesen. Der Junge folgte ihm wie ein Hund. Er hatte niemand anderen mehr.
Hansen lächelte Philipp an. Der Junge blickte stoisch zurück.
»Zieh dein Hemd aus«, sagte Hansen. Auf seinem Streifzug hatte er Pflanzen gesehen, die ihm vertraut erschienen. Aus den Blättern und Stielen stampfte er einen Brei, den er mit Uferschlamm vermischte. Die Männer beobachteten ihn skeptisch. Hansen sagte dem Jungen, er solle sich hinstellen, betrachtetedessen schmächtigen Oberkörper, die blasse Haut. Tief in ihm regte sich eine verdrängte Lust, aber Hansen zwang sie zurück. Er hatte seinen Trieben lange nicht mehr nachgegeben, obwohl sie stets da waren und nach Befriedigung lechzten. Doch sowohl Zeitpunkt als auch Person hätten falscher nicht sein können. Hansen nahm eine Handvoll seiner stinkenden Paste, schmierte Arme und Oberkörper des Jungen damit ein, bis hoch den Hals hinauf.
»So machen es die Indianer«, sagte er. »Gegen die Piums. Dann stechen sie nicht. Lass es trocknen und zieh dein Hemd wieder an.«
Danach vollzog er die Prozedur an sich selbst. Er hoffte, dass die Zusammensetzung einigermaßen stimmte. Es stank auf jeden Fall zum Himmel. Die Caboclos schüttelten die Köpfe. Zum Glück hatten sie ihre Hängematten ein gutes Stück entfernt aufgehängt. Aber Hansen kümmerte es ohnehin nicht, was sie von ihm dachten, er war froh, nicht mit ihnen reden und die unterdrückte Verachtung in ihren Augen lesen zu müssen. Mit nacktem Oberkörper legte er sich zur Nachtruhe, wollte diesen arroganten Bastarden beweisen, dass er ein Kind des Dschungels war.
Am nächsten Morgen regnete es kurz vor Sonnenaufgang, ein kräftiger Guss, der sie alle durchnässte. Frierend packten die Männer das Boot. Philipp wirkte erholter, das Fieber war gesunken. Nun aber fühlte sich Hansen angeschlagen, litt unter wattigem Kopf und flauem Magen. Er führte es auf die Alpträume zurück, die ihn in der Nacht geplagt hatten und ungewöhnlich lange nachglühten. Dabei hätte er deren Inhalt nicht einmal schildern können, erinnerte sich nur vage an Bilder von Fäulnis und Verwesung. Als die Sonne allmählich höher stieg, dampfte der Urwald, und Nebelschwaden waberten durchs dichte Unterholz. Hansen hörte merkwürdige Geräusche und meinte, im Nebel die Umrisse von Gestalten zu erkennen,schimpfte sich deshalb wiederholt einen Idioten, der am helllichten Tag halluzinierte. Einmal entfuhr ihm sogar ein leiser Schrei, der die Caboclos aufhorchen ließ. Hansen winkte genervt ab, half weiter dabei, das Boot zu beladen. Aber aus den Augenwinkeln blickte er sich verstohlen um, suchte die nebelhaften Silhouetten zu deuten. Waren es die im Wald umherirrenden Seelen der von ihm getöteten Indianer, die ihn da heimsuchten? Eigentlich glaubte er nicht an Geister, aber der Dschungel hatte ihn oft überrascht, und die Vergangenheit ließ sich nicht ungeschehen machen. Der Tod der Wayapi war sinnlos und ungesühnt. Vielleicht forderten sie Vergeltung. Er hätte es ahnen, sich Krauss in Belem stellen können. Aber als er sich einmal zu der Reise entschlossen hatte, war es Hansen, als zöge ihn eine unsichtbare Kraft in den Urwald hinein, tiefer und tiefer, ohne dass er dagegen etwas hätte unternehmen können. Er biss sich auf die Lippen, bis sie bluteten.
Minuten später brannte die Sonne den Nebel weg. Hansen beruhigte sich, obwohl Fetzen seiner düsteren Traumbilder an ihm klebten wie feine Spinnfäden. Er setzte sich an den Bug des Bootes, um die Männer nicht sehen zu müssen, und ließ die monotone Waldlandschaft an sich vorüberziehen. In diesem Moment überwältigte ihn die Gewissheit, alles richtig gemacht zu haben. Wer wollte ihn hier aufspüren? Er konnte überall sein. Wenn es ein perfektes Versteck gab, dann war das der Dschungel. Krauss würde
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