Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
Außerdem besetzten sie den Raum, den das deutsche Volk so dringend benötigte. Im kommenden Frühjahr wollte der Führer entscheiden, ob er sich gegen England oder gegen Russland wandte. Göring war fest davon überzeugt, dass es in den Osten gehen würde. Die Angriffe auf London dienten nur dazu, die Briten in ihre Schranken zu weisen. Göring schüttelte den Kopf über seine Einfalt. Noch vor ein paar Wochen hatte er geglaubt, dass die Engländer angesichts der deutschen Erfolge einknicken würden und der Krieg bald beendet sei. Was war er doch für ein Trottel gewesen.
»Herr Reichsfeldmarschall«, sagte Kesselring und deutete mit dem Kopf nach Osten. Göring drehte sich um und schaute in den Himmel. Tatsächlich. Da waren sie. Schwarze Punkte am Horizont, die sich schnell vergrößerten. In der Luft lag ein Brummen, als nähere sich ein überdimensionaler Bienenschwarm. Nur dass die Stiche dieser Bienen sich nicht mit feuchten Umschlägen lindern ließen. Der Lärm schwoll an, machte eine Verständigung schwierig. Aber Göring wollte gar nicht reden, sondern nur genießen. Jetzt bereute er es nicht mehr, gewartet zu haben. Das da waren seine Männer, seine Flieger, die auf seinen Befehl hörten. Stolz schwellte seine Brust. Die erste Ju 88 donnerte über ihn hinweg, raus auf den Ärmelkanal. Dutzende Bomber folgten, Messerschmitt 110 und Heinkel 111, begleitet von schnellen Jägern. In ihren Bäuchen trugen sie hundertfach, tausendfach den Tod. Das Brausen der Motoren war jetzt allgegenwärtig. Göring starrte mit offenem Mund. Ein Schwarm von Flugzeugen nach dem anderen schwirrte über ihn hinweg. Schon war ein Großteil der Maschinen weit über dem Kanal und nahm Kurs auf London. Von unten betrachtet sah es aus, als ob sich eine Ameisenstraße über den Himmel erstreckte. Die ersten Flugzeuge verschwanden bereits im Dunst über der Insel.
Görings Herz klopfte schneller. So einen erhebenden Augenblick hatte er lange nicht erlebt. Es war seine Armada, die da Kurs auf Englands Hauptstadt nahm. Die Piloten hörten auf seinen Befehl, er war Herr über Leben und Tod. Er, Hermann Göring, größter Feldherr aller Zeiten. Niemand reichte an ihn heran, an die zerstörerische Macht, über die er gebot. Das Brausen wurde leiser, Göring vernahm wieder das Tosen der Brandung am Fuß der Klippen. Mit ein wenig Phantasie konnte er sich vorstellen, am Bug eines Schiffes zu stehen, das hinaus in die Schlacht fuhr. Die Schlacht um England.
Er schloss die Augen. Ohne dass er sie heraufbeschworen hätte, schossen ihm Bilder des brennenden Rotterdam durch den Kopf. Damals war er nach den Angriffen über die Stadt geflogen, hatte das Ausmaß der Verwüstung begutachtet. Jetzt würde auch London in Flammen aufgehen. Im Geiste sah Göring Feuerwalzen und schwarzen Rauch, zwischen dem Tausende von Menschen ihre Haut zu retten versuchten, hörte ihre verzweifelten Schreie. Erschrocken öffnete er die Augen. Mit einem Mal begriff er. Das hier war nicht das Ende. Es war erst der Anfang.
38.
B RASILIEN
8. September 1940
Dorf der Aparai
Hansen überlegte fieberhaft, was zu tun war. Ungeachtet der Tatsache, dass er kaum ein Wort von dem verstand, was Alfredo sagte, redete der unaufhörlich auf ihn ein. Manuel und José waren seit dem frühen Morgen verschwunden. Jetzt dämmerte es. Zunächst hatte Hansen gedacht, die Männer seien auf der Jagd. Mittlerweile schien es fast sicher, dass den beiden Caboclos etwas zugestoßen war. Während Hansen spekulierte, dass sie sich im Dschungel verirrt hatten, glaubte Alfredo an einen Überfall der Aparai. Er vermutete, dass die Indianer Manuel und José gefangen genommen hatten. Für Hansen ergab das nur Sinn, wenn die Caboclos ins Dorf eingedrungen waren. Seit ihrer Ankunft war klar gewesen, dass die Aparai sie dort nicht sehen wollten. Die Männer durften die verlassenen Hütten bewohnen, darüber hinaus war ihnen jeder Kontakt verboten. Vor allem Hansen galt als unerwünschte Person. Sich darüber hinwegzusetzen, wäre äußerst dumm gewesen. Die Indianer wussten sich zu wehren, das hatte Hansen den Caboclos eingetrichtert. Er hoffte darauf, dass sich die Stimmung zu seinen Gunsten wenden würde und die Aparai irgendwann einlenkten.
Die Ablehnung der Indianer hatte ihn zunächst hart getroffen, wollte er doch mit Hilfe von Präräwa und Saracomano seine Giftvorräte wieder auffüllen. Daraus wurde nun nichts. Direkt am Abend ihrer Ankunft war eine kleine Delegation, angeführt von
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