Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
Philipp gegen ihn benutzte. So wie das Schwein es bei Oda getan hatte. Priorität hatte der Junge. Erst wenn Philipp in Sicherheit war, würde Krauss Hansen töten.
Am nächsten Morgen waren die Indianer aufgeregter als sonst. Bis zur Abfahrt redeten sie viel, dann schwiegen sie. Hinter einer Flussbiegung lenkte Winnetou das Boot in einen kleinen, von Bäumen geschützten Seitenarm des Jary. Gleich dahinter entdeckte Krauss eine Reihe festgetäuter Kanus amUfer. Winnetou hielt darauf zu, legte an. Die beiden Indios bedeuteten Krauss zu bleiben. Eine halbe Stunde später kehrte Okube zurück und holte ihn. Der Weg führte ins Dorf der Aparai, wo Winnetou inmitten mehrerer Indianer auf Krauss wartete. Das Dorf war eine lose Ansammlung von Hütten, die sich um einen zentralen Platz gruppierten und wenig stabil wirkten; überall streunten dickbäuchige Hunde herum. Männer wie Frauen waren so gut wie nackt, abgesehen von Lendenschurzen. Eine junge Mutter säugte ihr Baby, für Krauss ein verstörender Anblick. Über dem Dorf lag der Geruch von Verbranntem, am Rand stand ein Holzgestell, auf dem Felle und Fleischstücke trockneten. Es war eine ihm unbekannte Welt, die er hier betrat. Genauso gut hätte er einen anderen Planeten besuchen können. Die Aparai starrten ihn feindselig an. Krauss fühlte sich unwohl. Wie sollte er sich verhalten? Schulz-Kampfhenkel hatte das gewusst, er war schließlich Wissenschaftler. Krauss streckte den Männern seine Hand zur Begrüßung entgegen. Niemand ergriff sie. Winnetou sagte ein paar Worte. Der älteste, mürrisch aussehende Indianer reagierte und gab Krauss die schwielige Hand.
»Aocapoto«, sagte Winnetou. »Tuschaua.«
Wahrscheinlich war das der Häuptling, dachte Krauss. Auf jeden Fall einer, der etwas zu sagen hatte. Bevor Krauss entschied, wie er sich zu verhalten hatte, packte ihn Winnetou am Arm und führte ihn von den anderen fort, zu einer abseits gelegenen Hütte. Darin lagen an Händen und Füßen gefesselt zwei Männer auf dem Boden. Der Kleidung nach zu urteilen, handelte es sich nicht um Indios, sondern um Caboclos. Aus dem, was Winnetou ihm aufgeregt zu erzählen versuchte, schloss Krauss, dass die Burschen ein Aparai-Mädchen belästigt hatten. Sie gehörten zu Hansen, der sich demnach ganz in der Nähe aufhalten musste, in einem anderen Dorf, nur wenige Minuten entfernt. Es ging ihm jetzt alles viel zu schnell,dachte Krauss. Erst waren sie wochenlang unterwegs, dann musste er sofort reagieren. Krauss folgerte, dass Winnetou ihm deshalb die Gefangenen zeigte, weil Hansen durch diesen Verlust geschwächt war und ein Überfall auf den verhassten Feind einfacher. Als Krauss die Hütte verließ, stand ein junger Indio vor ihm und bot ihm mit beiden Händen einen Revolver dar, wie ein Gastgeschenk.
»Saracomano«, erläuterte Winnetou. Offenbar der Sohn des Häuptlings, entnahm Krauss Winnetous Worten. Der Revolver war ein Geschenk Hansens, und Saracomano wollte ihn nicht mehr haben, weil diese Waffe andere Indianer getötet hatte. Jetzt sollte Krauss sie nehmen und sie von dem bösen Geist befreien. Krauss sah sich den Revolver näher an. Es war ein Webley, ein älteres Fabrikat, das er aus seiner Zeit in England kannte, unhandlich wie unverwüstlich. Er nahm die Waffe, wog sie in der Hand, kontrollierte die Trommel. Alle sechs Kammern waren voll.
»Help!«, schrie einer der Caboclos verzweifelt. Krauss drehte sich zur Hütte um, schaute auf den Revolver. Er lächelte.
»Ich weiß jetzt, wie wir es machen«, sagte er.
37.
F RANKREICH
7. September 1940
Cap Blanc-Nez
Hinter dem Dunstschleier am Horizont lag die Heimat des Feindes, den Göring am meisten fürchtete: England. Er stand auf den Klippen von Cap Blanc-Nez und starrte hinaus aufs Meer, konnte aber trotz Fernglas und gutem Wetter die Kalksteinfelsen von Dover nicht erkennen. Als ob die Briten einen Schutzschirm um ihre Insel errichtet hätten. Wenn sie dachten, dass sie unangreifbar wären, irrten sie. Göring reichte das Fernglas an General Kesselring, der neben ihm ungeduldig mit den Füßen wippte. Kesselring war nervös. Heute endete die Schonfrist für England, heute würde Göring Churchill beweisen, aus welchem Holz die deutsche Luftwaffe geschnitzt war. Dabei hätte es nicht so weit kommen müssen. Der Reichsfeldmarschall reckte trotzig das Kinn in die kühle Meeresbrise. Was hatte er nicht alles getan, um die Briten rauszuhalten aus diesem Krieg. Wenn er nur an den übereifrigen Dahlerus
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