Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
Behälter mit Petroleum. Er nahm ihn, schüttete den Inhalt über die aus dünnen Stämmen notdürftig zusammengebundenen Wände. Hansen zog es die Kehle zusammen. Sein Mund war vollkommen trocken. Was hatte Krauss vor? Der Kerl sollte ihn erschießen, damit es ein Ende hatte. Aber das Gift lähmte auch Hansens Zunge. Er konnte nur unverständliches Zeug gurgeln. Krauss kniete sich wieder neben Hansens Kopf, betrachtete ihn ohne einen Funken Mitleid.
»Ich will, dass du brennst.«
Hansen krächzte. Krauss lächelte böse.
»Du fragst dich, warum ich noch lebe. Ich will es dir sagen.«
Er griff unter sein Hemd und holte einen metallischen Anhänger hervor, der an einem Lederriemen um seinen Hals baumelte. Hansen sah, dass es sich um eine Unterlegscheibe handelte, in die jemand etwas hineingeritzt hatte. Sie war stark eingedellt, da, wo seine Kugel sie getroffen haben musste. Sein Schuss war abgelenkt worden. Und er war so arrogant gewesen, seinem Opfer nicht noch eine zweite Kugel zu verpassen. Krauss hielt ihm das Stückchen Metall unter die Nase. Jetzt erkannte Hansen das unsaubere, wie von Kinderhand eingravierte Symbol. Einen Davidstern.
»Hannah hat mir das Leben gerettet«, sagte Krauss.
Hansen dachte an sein eigenes Amulett. Aocapoto hatte ihm versprochen, dass es ihn unbesiegbar machen würde. Lange Zeit hatte er sich darauf verlassen können. Bis jetzt. Krauss erhob sich und nahm die brennende Petroleumlampe. Ein letztes Mal wandte er sich an Hansen.
»Jetzt bekommst du einen Vorgeschmack auf das, was dich dort, wo du hingehst, erwartet.«
Krauss ging zur Tür, schleuderte die Lampe gegen eine Wand. Mit einem Knall entzündete sich das Petroleum, Flammen züngelten hoch, kletterten in Windeseile die trockenen Äste hinauf. Hansen sah aus den Augenwinkeln, dass Krauss ihn von draußen beobachtete. Das Feuer loderte höher, Rauch vernebelte Hansen die Sicht. So ging es also mit ihm zu Ende. Dass es nicht schön werden würde, hatte er sich gedacht, aber das? Über ihm wirbelten schwarze Schwaden, das Prasseln der Flammen kam näher. Das Atmen strengte ihn zunehmend an. In dieser Hütte brannte alles wie Zunder. Auch er. Erfolglos versuchte er, seinen Kopf zu drehen. Um ihn herum war nur noch Rauch.
Nein. Etwas schälte sich heraus aus dem dichten Qualm, ein Körper. Würde er in letzter Sekunde doch noch gerettet werden? Von einem Caboclo, den das schlechte Gewissen plagte?Oder war es Krauss? Die Gestalt näherte sich geschmeidig, beugte sich über ihn. Hansen stockte der Atem. Das war kein Mensch, sondern ein Tier. Ein Jaguar. Unverkennbar. Was wollte diese Bestie hier? Niemals würde eine Kreatur in die Flammen laufen. Hansens Verstand spielte verrückt. Der Wahnsinn hatte ihn in seinen Klauen. Nur wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt fletschte der Jaguar das Maul. Hansen öffnete den Mund, bekam aber nur ein Würgen heraus. Die Augen des Jaguars funkelten ihn bösartig an. Sein Atem stank nach verbranntem Fleisch. Dieser gottverfluchte Dschungel, dachte Hansen. Diese verteufelten Wilden. Der Jaguar brüllte, riss mit einem einzigen Prankenhieb Hansens Amulett von dessen Hals und wurde vom Rauch verschlungen.
E PILOG
Buenos Aires
Oktober 1940
Der Junge öffnete das schmiedeeiserne Tor und ging zum Haus, ohne sich umzusehen. Krauss beobachtete ihn von der anderen Straßenseite, an einen Baum gelehnt. Obwohl er diesen Moment in den vergangenen Wochen herbeigesehnt hatte, fiel ihm der Abschied nicht leicht. Weil er endgültig war. Er würde Philipp niemals wiedersehen. Der Junge war jetzt in Sicherheit. Er klopfte, wartete. Das Zimmermädchen öffnete die Tür. Es sah Philipp, hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund, riss ihn dann in seine Arme und stürzte mit ihm ins Haus. Krauss lächelte über seinen Schmerz hinweg. Der Junge war in guten Händen. Sein Junge. Sie hatten viel miteinander gesprochen auf ihrer Reise den Fluss hinunter. Philipp war froh, wieder Englisch reden zu können. Krauss versuchte, ihm die Dinge zu erklären, so gut es ging. Das meiste ließ er aus. Ihm kam es auf die Botschaft an: dass Philipp sich nicht mehr fürchten musste. Dass seine Odyssee beendet war. Dass ihn niemand mehr verschleppen würde. Dass er ein normales Leben führen würde, mit Menschen, die ihn mochten und für ihn sorgten.
Der Junge hatte begriffen, glaubte Krauss. Nur er selbst haderte. Er fühlte sich Philipp näher, als er dachte. Das Kind war seine Verbindung zu Hanna und Oda, den
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