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Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Titel: Ein fremder Feind: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Isringhaus
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kleine Delegation stumm gegen die Strömung ab, bis Pituma, der im Bug saß, ein Zeichen gab. Sie sollten anlegen. Pituma sprang aus dem Boot, griff sich ein Bündel, holte Kleider heraus, die ihm Schulz-Kampfhenkel geschenkt hatte. Die Männer beobachteten, wie sich der Indio verwandelte, eine Khaki-Hose über seinen Lendenschurz zog und in ein Hemd schlüpfte. Er hängte sich seine geliebte Kette mit den beiden Püppchen um, kämmte sich sorgfältig die Haare und lächelte verlegen. Sieh mal an, dachte Hansen, selbst im Dschungel machen Kleider Leute. Auch wenn Pituma seiner Meinung nach aussah wie ein Karnevalist, der seine Herkunft nicht verleugnen konnte. Mit einem Mal glaubte Hansen, dass von den Aparai nichts zu befürchten war. Wer Wert auf ein ordentliches Aussehen legte, würde nicht gleich den erstbesten Weißen mit einem tödlichen Pfeil begrüßen.
    Pituma kletterte zurück ins Boot. Alle wussten, dass sie unmittelbar vor dem Lager sein mussten. Der Indio steuerte auf einen schmalen Seitenarm des Jary zu. Bäume mit tiefhängenden Blättern beschatteten die Einfahrt. Ohne Pituma wären sie mit dem Haupttross daran vorbeigerudert.
    »Da vorn«, rief Schulz-Kampfhenkel.
    An einem sandigen Ufer lag ein Dutzend Kanus. Sie waren am Dorf. Pituma legte an, alle stiegen aus. Niemand war zu sehen, es herrschte fast beängstigende Stille. Selbst der Dschungel schwieg, dachte Hansen. Jetzt spürte er ein Flattern in derMagengrube. Er packte das Gewehr fester. Vor ihnen führte ein zwei Meter breiter, offensichtlich dem Urwald abgetrotzter Weg hinein ins Unbekannte. Hatten die Aparai ihre Ankunft beobachtet? Hatten sie Pituma gesehen, den Mann aus ihrer Mitte? Vermuteten sie vielleicht, dass er ein Gefangener sei, und wollten ihn nun befreien, aus dem Schutz des Waldes heraus? Wahrscheinlich waren sie alle so treffsicher wie Pituma. Ihn fröstelte, kalter Schweiß brannte in Hansens Augen.
    Die Männer warteten unschlüssig. Pituma deutete an, dass sie mit den Gewehren in die Luft schießen sollten. Einen Willkommenssalut. Ob das die angemessene Begrüßung war?, fragte sich Hansen.
    »Los«, sagte Schulz-Kampfhenkel.
    Kahle und Hansen zielten in die Luft und gaben jeder zwei Schüsse ab. Pituma nickte. Nichts passierte. Nach einer Minute schälte sich eine Gestalt aus dem Schatten des Weges. Pituma trat beiseite. Der Indianer war schon älter, vielleicht Mitte fünfzig, aber zäh und muskulös. Bis auf seine Schambinde war er nackt. Sein Gesicht hatte scharfe Falten, die Augen blickten sie wach und aufmerksam an. Das war der Häuptling, dachte Hansen, der Tuschaua. Der Alte blieb vor den Männern stehen und lächelte sie an.
    »Hallo, guten Tag, wie geht’s? Lange nicht gesehen!«, sagte Schulz-Kampfhenkel auf Deutsch.
    Der Häuptling reichte ihm die Hand und lächelte weiter. Hansen atmete erleichtert aus. Bald bin ich ein reicher Mann, dachte er.

6.
B ERLIN
    23. September 1939
Wohnung der Weinbergs
    Krauss starrte auf das kleine Mädchen, das sich am Fußende seines Bettes verlegen wand, als sähe er eine Erscheinung. Er hatte nicht bemerkt, dass es ins Zimmer gekommen war, sondern nur die Decke betrachtet und seinen trüben Gedanken nachgehangen.
    Das Kind mochte etwa fünf, sechs Jahre alt sein, genau konnte Krauss das nicht einschätzen. Dafür fehlte es ihm an Erfahrung. Er nahm an, dass es sich um Weinbergs Tochter handelte; vielleicht aber war sie auch mit ihren Eltern zu Besuch und hatte sich heimlich in sein Zimmer geschlichen. Krauss verzog sein Gesicht zu etwas, das er für ein Lächeln hielt. Das Mädchen schubberte mit der Schulter nervös am Fußteil des Bettes entlang.
    »Bist du tot?«, fragte sie.
    Jetzt musste Krauss wirklich lächeln, so entwaffnend war die Frage.
    »Auch wenn ich vielleicht so aussehe, nein, ich bin es nicht«, antwortete er. Er hob die rechte Hand. »Sieh mal, ich kann sogar die Hand heben.«
    Das Mädchen beobachtete ihn genau.
    »Mama hat gesagt, du siehst lebendig aus, aber in Wirklichkeit bist du tot.«
    Krauss schwieg, sah das Kind nur an. Es musste den Satz aufgeschnappt haben, so etwas sagte eine Mutter nicht zu ihrer kleinen Tochter. Das Mädchen hatte ihn behalten und war neugierig geworden.
    »Deine Mutter irrt sich«, sagte er. »Ich war fast tot. Jetzt bin ich lebendig. So lebendig wie du.«
    Sie zog eine Schnute, zeigte eine Reihe kleiner Zähne.
    »Und warum stehst du nicht auf und spielst mit mir?«
    »Ich bin krank. Das ist aber nicht dasselbe wie

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