Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
Jahre zur See gefahren, danach habe ich im Hafen gearbeitet. Was so anfiel. Schiffe beladen, in den Lagerhallen aushelfen, manchmal auch nur Böden schrubben. Später hat mich ein Bekannter meines Vaters in seinem Betrieb als Mädchen für alles engagiert. Den Job habe ich an den Nagel gehängt, um dich an den Amazonas zu begleiten. Du siehst, ich musste kein großes Opfer bringen.«
Wie laut der Dschungel in der Dunkelheit war. Um sie herum herrschte ein permanentes Zirpen, Gurren und Grunzen, das Grundrauschen der Wildnis. Hansen kam es so vor, als lachten die Urwaldbewohner ihn aus. Für seine Lügen und Halbwahrheiten. Der Laden, in dem er zuletzt gearbeitet hatte, war eine üble Spelunke an der Reeperbahn, in der alle abwegigen Wünsche erfüllt wurden. Seine Aufgabe war es, dafür zu sorgen, dass alles einigermaßen sauber wirkte und die Mädchen mit halbwegs anständigen Mahlzeiten versorgt wurden. Schon damals war er also derjenige, der eine Gruppe ernährteund nicht wirklich dazugehörte. Dort hatte er Müller kennengelernt. Eine verhängnisvolle Begegnung.
»Du hättest einen richtigen Beruf lernen sollen, Heinrich«, sagte Schulz-Kampfhenkel, für Hansens Geschmack zu gönnerisch. »Aber es ist nie zu spät. Wenn wir zurück in Deutschland sind und unsere kleine Expedition Furore macht, stehen dir alle Türen offen. Dann kannst du noch mal von vorn anfangen.«
»Das sehen wir, wenn es so weit ist.«
»Vertrau mir«, sagte Schulz-Kampfhenkel, schlug ihm jovial auf die Schulter, stand auf und ging zu seiner Hängematte. Hansen blieb allein am Lagerfeuer zurück. Über ihm, in undurchdringlicher Dunkelheit, schrie, pfiff und brummte es. Schlief der Dschungel nie? Hansen fragte sich, woher Schulz-Kampfhenkel selbst hier, in diesem Niemandsland, seine Selbstherrlichkeit nahm. Sie bewegten sich auf einem solch schmalen Grat. Ohne Feuer, ohne Ausrüstung, ohne den Schutz der Gruppe würde der Dschungel sie mit Haut und Haaren fressen. Nichts bliebe von ihnen zurück, niemand würde jemals eine Spur von ihnen finden. Sie waren nur lächerliche Staubkörner angesichts dieser Urgewalt. Erst einmal mussten sie lebend hier herauskommen. Alles Weitere würde man sehen. Neuanfang. Wenn Schulz-Kampfhenkel da nicht zu viel versprach. Hansen konnte zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen, wie grausam richtig sein Freund aus Kindertagen mit seiner Prophezeiung lag.
Am nächsten Morgen hielt Schulz-Kampfhenkel Kriegsrat. Vier Caboclos litten unter leichtem Fieber, ihre Wunden an den Füßen hatten sich trotz Behandlung mit Jod entzündet. Man war sich einig, dass es so wenig Sinn ergab weiterzufahren. Alle Männer mussten einsatzbereit sein. Zwei Tage Pause, entschied Schulz-Kampfhenkel. Hansen und Winnetou sollten die Zeit nutzen, die Fleischvorräte aufzufüllen. Die beidenzogen wenig später los, der Indianer an den Fluss, um Fische zu jagen, Hansen in den Dschungel, um Affen aufzustöbern. Und um allein zu sein. Er markierte seinen Weg mit bunten Bändchen, die ihm die Caboclos gegeben hatten. Es war kinderleicht, sich im Gestrüpp zu verlaufen, und mit hoher Wahrscheinlichkeit tödlich. Bis zum frühen Nachmittag hatte er einen kleinen Kapuzineraffen geschossen, nicht gerade eine üppige Ausbeute. Er hoffte, dass Pituma erfolgreicher gewesen war. Bei seiner Rückkehr lagen ein Dutzend Fische und ein mittelgroßer Kaiman neben dem Lagerfeuer. Ernesto, der Koch der Truppe, erzählte Hansen vom Kampf mit der Echse. Pituma hatte das Tier mit einem Pfeil so schwer verletzt, dass die Männer es mit einer Schlinge fangen und aus dem Fluss ziehen konnten. Dort hatten sie es mit ihren Bootsstangen erschlagen. Ein Leckerbissen, schwärmte Ernesto, zog aber erst dem Kapuzineraffen die Haut ab. Hansen schaute gleichermaßen fasziniert wie angeekelt zu. Gehäutet sahen vor allem die größeren Affen aus wie Kinder. Ernesto hatte seinen Spaß.
»Criança, Criança«, witzelte er auf Portugiesisch. »Kind, Kind.«
Er nahm ein Beil und hackte dem Affen den Kopf ab. Hansen schauderte. Mit jedem Tag, den sie tiefer in den Dschungel eindrangen, blätterte etwas ab von der dünnen Patina der Zivilisation. Er fragte sich, wann sie alle nackt dastanden, verrückt und lüstern, und ob sie sich dann gegenseitig die Schädel einschlagen würden. Wahrscheinlich. Ernesto lachte.
»Kind schmeckt gut«, sagte er.
Hansen wandte sich ab. Er würde die Zeit bis zum Abendessen in der Hängematte verdösen. Zwei Stunden später verfärbte sich der
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