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Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Titel: Ein fremder Feind: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Isringhaus
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Ängste schüren. Gleich zwei Anschläge an einem Tag. Künftig würde es nicht mehr so leicht sein, das Reichssicherheitshauptamt zu betreten. Krauss hatte ihnen bewiesen, dass sie verletzlicher waren, als sie dachten. Er lief die Treppen zum Bürgersteig hinunter und ging strammen Schrittes davon. Seine Gedanken überschlugen sich. Er konnte die Nazis verletzen, aber er konnte sie nicht aufhalten. Vielleicht war er deshalb so unzufrieden. Ja, vielleicht. Auch Hitler war ungeschoren davongekommen. Mit Gerechtigkeit hatte das nichts zu tun.
    Krauss spürte, wie sich in ihm etwas regte. Hass und Wut, gemischt mit Euphorie. Vor seinem inneren Auge zeichnete sich ein diffuses Bild ab. Eine Aufgabe. Eine Bestimmung. Sie hätten ihn beinahe getötet, aber er hatte überlebt. Vielleicht aus gutem Grund. Vielleicht brauchte es einen Mörder, um diesen Monstern ihre Grenzen aufzuzeigen. Einen aus den eigenen Reihen, kaltblütig und todesverachtend. Krauss lächelte. Vorhin, als Heydrich ihn taxiert hatte, war ihm klargeworden, dass die Nazis keine Macht über ihn hatten, weil er den Tod nicht fürchtete. Er war schon vor langer Zeit gestorben. Ja, er spürte es genau, mit jeder Faser seines vernarbten Körpers. Er würde alles tun, wozu er in der Lage war, um dieses Gesindel zu erledigen. Und er würde sofort damit anfangen.

ZWEITER TEIL

15.
B ERLIN
    8. Januar 1940
Görings Residenz »Carinhall«
    Göring weinte. Ungehindert ließ der Reichsfeldmarschall die Tränen über seine teigigen Wangen rollen und auf seine Uniformjacke tropfen. Er genoss diesen Moment. Mindestens sechsmal hatte er »Vom Winde verweht« bisher gesehen, aber er bekam nicht genug von diesem Rausch in Technicolor. Filme drehen konnten die Amerikaner, das musste man ihnen lassen. Was war die UFA dagegen für ein trauriger Haufen. Hatten es einfach nicht raus. Göring erinnerte sich nur an einen bunten Tierfilm. In Sachen Krieg war Deutschland weit vorn, in Sachen Kino aber provinziell. Außerdem gab es hierzulande keine Vivien Leigh und keinen Clark Gable. Rhett Butler. Allein der Name. Selbstverständlich erkannte er sich selbst in Butler wieder, in dem unerschütterlichen und kriegsgestählten Südstaatler. Jedes Mal freute Göring sich diebisch, wenn Scarlett O’Hara zu spät erkannte, dass es Butler war, den sie eigentlich liebte.
    Davon träumte der zweite Mann des Deutschen Reiches – dass andere erkannten, wer er wirklich war. Dass man sich nach ihm verzehrte, ihn zurückwünschte in die allervorderste Reihe. Hitler zum Beispiel. Obwohl der Führer auf Göring und dessen Luftwaffe angewiesen war, behandelte er ihn ab und an wie einen Trottel. Das Verhältnis zu Hitler unterlag starken Schwankungen. Nach dem schnellen Erfolg in Polen war Göring obenauf gewesen, doch seither ging es stetig bergab. Der Reichsfeldmarschall spürte, dass Hitler sich bremste, weil er ihn brauchte, aber manchmal brach es ungezügelt ausihm heraus. Das hatte Göring nicht verdient. Er stellte sich vor, wie er Hitler seinen Marschallstab vor die Füße warf – und der Führer ihn heulend anflehte, zu bleiben. Gott, wäre das schön. Der Reichsfeldmarschall gluckste belustigt. Er holte ein seidenbesticktes Taschentuch hervor, wischte sich das Gesicht ab und trocknete seine geröteten Augen. Gut, dass er sich in seinem eigenen Kino so gehenlassen konnte. Göring hatte es im Keller seines Wohnsitzes Carinhall errichten lassen, mit fünfzig bequemen Sesseln, schaute aber am liebsten allein. Vor allem die Filme, die ihm etwas bedeuteten. Und ganz besonders die, die in Deutschland verboten waren. Wie »Vom Winde verweht«.
    Mühsam wuchtete Göring sich aus dem bequemen, nur für ihn reservierten Fauteuil. Er strich seine Uniform glatt und sah auf die Uhr. Kurz nach eins. Sofort spürte er ein Magengrummeln. Dass der Film so lange dauerte, war sein einziger Nachteil. Seit dem Frühstück hatte er nichts mehr gegessen. Er hoffte, dass oben niemand auf ihn wartete und er direkt ins Esszimmer spazieren konnte. Momentan fühlte er sich kaum in der Lage, seine Termine wahrzunehmen; stattdessen blieb er entweder im Bett oder flüchtete sich in andere Beschäftigungen. Das Filmeschauen war eine davon. Göring stieg die Treppe hoch ins Erdgeschoss. Oben angekommen, blieb er kurz stehen und schnappte nach Luft. Er war zu fett, das wusste er selbst, musste es sich aber auch ständig von Emmy und seinem Hausarzt anhören. Je mehr sie seine Figur kritisierten, desto mehr stopfte er in

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