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Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Titel: Ein fremder Feind: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Isringhaus
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sich hinein. Schon allein der Gedanke an Emmy steigerte Görings Appetit. Zügig marschierte er durch die Halle Richtung Küchentrakt, aber sein Kammerdiener versperrte ihm den Weg.
    »Sie haben einen Gast«, sagte Kropp mit einer gewissen Dringlichkeit. »Dr. Augustus Heermann wartet seit mehr als einer Stunde im Kartenzimmer.«
    Göring nickte genervt. Meine Güte, den hatte er komplett vergessen. Heermann, der große Wahrsager. Emmy hatte ihn über einen ihrer diversen spirituellen Zirkel kennengelernt und angeschleppt, als Göring ein goldenes Zigarettenetui abhandengekommen war. Irgendwelche Stimmen flüsterten Heermann ein, dass einer der Hausangestellten das Etui entwendet hatte. So war es auch. Wahrscheinlich steckten die beiden unter einer Decke. Aber Emmy traute Heermann seither zu, selbst das Weltende exakt zu prognostizieren. Göring hielt den hageren Mittvierziger, der stets einen schwarzen Anzug und ein weißes Hemd mit Vatermörder trug, für einen Scharlatan. Allerdings umgab ihn irgendetwas Mysteriöses, und das hatte auch bei Göring Eindruck hinterlassen. Heute wollte er ihm näher auf den Zahn fühlen. Heermann sollte Zeitpunkt und Ort einer britisch-französischen Offensive im Westen auspendeln. Trotz seines leeren Magens drehte der Reichsfeldmarschall ab und steuerte das Kartenzimmer an. Ohne anzuklopfen, trat er ein. Heermann sprang aus einem Stuhl hoch und hob den Arm zum Gruß.
    »Heil Hitler, Herr Reichsfeldmarschall«, sagte er eine Spur zu zackig.
    »Ja, ja«, entgegnete Göring. »Danke, dass Sie es ermöglichen konnten. Ich hoffe, Emmy hat sich um Sie gekümmert.«
    »Leider habe ich Ihre verehrte Gattin heute noch nicht gesehen.«
    Dieser Schleimer. Nach zwei Minuten hatte Göring schon die Nase voll. Er ging zu dem großen quadratischen Tisch in der Mitte des Zimmers, auf dem mehrere Landkarten ausgebreitet übereinanderlagen. Sie zeigten die Benelux-Länder, Frankreich und den Westen Deutschlands.
    »Sie wissen ja, worum es geht«, sagte Göring beinahe desinteressiert.
    »In der Tat. Sie möchten, dass ich Ihnen etwaige Angriffspläneder Briten und Franzosen offenlege. Ich habe Ihnen bereits am Telefon gesagt, dass ich Ihnen nichts versprechen kann. Meine Gabe ist keine Wissenschaft, sondern hochsensibel und unberechenbaren Einflüssen ausgesetzt.«
    Göring lächelte hinterhältig.
    »Mit anderen Worten: Kokolores.«
    »Wenn Sie dieser Ansicht sind, warum haben Sie mich dann bestellt?«, fragte der Wahrsager pikiert.
    »Mein lieber Heermann, nun seien Sie nicht gleich eingeschnappt. Ich will eben nichts unversucht lassen. Je mehr wir die Pläne des Feindes vorempfinden können, umso besser. Allerdings müssen Sie verstehen, dass ich mich dabei nicht nur auf Sie verlassen kann.«
    Heermann sah Göring skeptisch an. Dann nestelte er an seinem Vatermörder herum, nahm ihn ab und steckte ihn in seine Aktentasche, aus der er gleichzeitig ein goldenes Pendel hervorzauberte. Der Wahrsager räusperte sich, stolzierte übertrieben gemessenen Schritts an den Tisch, streckte den Arm aus und ließ das Pendel aus der Hand an einer goldenen Kette über der Karte hinabbaumeln. Langsam schwang das spitz zulaufende Gewicht über der westdeutschen Grenze hin und her. Görings Blick schweifte von Heermanns Gesicht, das betont konzentriert wirkte, über dessen Hand, die seltsam wächsern schien, zum Pendel, das über Frankreich, Belgien, Holland und dem Westen Deutschlands kreiste. Heermann schloss die Augen. Der Kreis, den das Pendel beschrieb, verengte sich. Göring beugte sich über die Karte. Verdammt, dieser Quacksalber machte es spannend. Würde er tatsächlich vorhersagen, wo die Briten zuschlagen? Der Reichsfeldmarschall schwitzte. In diesen Tagen war jede halbwegs brauchbare Information Gold wert. Hitler scharrte mit den Hufen, weil er nicht noch einmal den »Fall Gelb« verschieben wollte, den Angriff auf Frankreich. Ursprünglich vorgesehen war der 22. November,der Termin ließ sich aber aus taktischen Erwägungen nicht halten. Nun sollte es am 17. Januar losgehen. Aus Görings Sicht viel zu früh. Als Chef der Luftwaffe wusste er, dass sich seine Flieger bei den Kämpfen in Polen verausgabt hatten. In den Munitionsdepots herrschte gähnende Leere, die Treibstoffvorräte waren so gut wie verbraucht. Ein Angriff zum jetzigen Zeitpunkt hätte seine desolate Planung offenbart. Und seine ohnehin angeschlagene Position bei Hitler weiter geschwächt. In den Augen des Führers agierte Göring zu

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