Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
Selbstverständlich ließ er sich die Gelegenheit nicht nehmen, seinem wichtigsten Kunden zum Geburtstag zu gratulieren. Krauss musste sich also eine Ausrede für die Bediensteten der Burg einfallen lassen und beten, dass sie geschluckt wurde. Aber ihr Plan war sowieso eine löchrige Angelegenheit. Ohne Improvisation und eine gehörige Portion Glück würde er nicht funktionieren. Bei der knappen Vorbereitungszeit war das kein Wunder, dachte Krauss. Ihr Vorgehen basierte auf den spärlichen Informationen Straubingers und den unscharfen Fotos, die er angeschleppt hatte. Burg Veldenstein wirkte da relativ uneinnehmbar, ruhte trutzig auf einem Hügel oberhalb des Städtchens Neuhaus. Nur eine Straße führte zu der Anlage. Das war von Vor- wie auch von Nachteil. Der Vorteil: Ein gut platzierter Scharfschütze konnte ihre Flucht einigermaßen absichern. Der Nachteil: Wenn ihnen der Rückweg aus irgendeinem Grund versperrt werden würde, waren sie auf der Burg gefangen. Krauss versuchte, sich von diesen Gedanken abzulenken, indem er sich auf den ersten Schritt konzentrierte. Denn erst mal mussten sie in die Burg hinein.
Der Lieferwagen der Konditorei, ein Mercedes-Benz 170 V, war bald voll beladen. Der Meister und zwei Angestellte schleppten laufend Bleche aus dem Laden, gefüllt mit Kuchen, Torten und Teilchen. Harbachers Spezialität waren Zitronenbaiser, hatte Straubinger ihm erzählt. Edgar habe die Leckereien sehr geschätzt. Krauss hatte das nicht gewusst. Als er jung gewesen war, wusste er alles über seinen Bruder, war er begierig auf jedes Detail, später wollte er nichts mehr wissen.
Harbacher schloss die Hecktür des Lieferwagens, der an beiden Seiten den Schriftzug »Harbacher – Feine Backwaren« trug. Es war so weit. Krauss sah auf die Uhr. Drei Uhr fünfzig. Sie lagen gut in der Zeit. Der Konditor setzte sich selbst hinters Steuer, einer seiner Angestellten kletterte auf den Beifahrersitz,der andere winkte kurz und verschwand im Laden. Krauss startete den Motor, ließ das Licht aber ausgeschaltet. Er wollte dem Konditor einen Vorsprung lassen. Harbacher fuhr vorsichtig los, die Straße konnte rutschig sein. Der Lieferwagen zog zwei frische Spuren durch die jungfräuliche Schneedecke. Krauss wartete und fuhr an. Das war das Signal für Mortimer und Miller. Sie parkten fünfzig Meter hinter ihnen in einem ebenfalls gestohlenen BMW und hängten sich hinter Krauss und Straubinger. Baldwin war bereits nach Neuhaus gefahren. Offensichtlich schätzte er es, allein unterwegs zu sein. Seine Aufgabe war es, ein Motorrad aufzutreiben und eine gute Position für einen Scharfschützen auszukundschaften. Am Ortseingang von Neuhaus wollten sie sich mit ihm am Morgen treffen.
Krauss versuchte, einen möglichst großen Abstand zu dem Lieferwagen zu halten. Zwar glaubte er nicht, dass ein Konditor unter Verfolgungswahn litt, aber man konnte nie wissen. Sobald der Konvoi Berlin verlassen hatte, würden Mortimer und Miller die beiden vor ihnen fahrenden Autos überholen und einige Kilometer voraus eine Panne simulieren. Dass Harbacher Hilfe anbot, schien so gut wie sicher. An einem verschneiten Januarmorgen war jeder Havarierte auf Unterstützung angewiesen. Krauss hoffte nur, dass die SOE-Männer sich an den Plan hielten. Er wollte nicht, dass den Bäckern etwas zustieß. Aber die Briten blieben ein unberechenbarer Faktor. Sie halfen ihm, weil er sie ihrem Ziel näher brachte. Krauss gab sich keinen Illusionen hin, was ihre Vorgehensweise anging. Die drei waren von der britischen Regierung ausgebildete Killer, und sie hatten erstens alle Freiheiten und zweitens keinerlei Skrupel, davon Gebrauch zu machen. Wenn sie der Meinung waren, Spuren verwischen zu müssen, würden sie das tun. Der Überfall auf die Bäcker war die Nagelprobe.
Nach einer halben Stunde passierten sie die Stadtgrenze.Auf dem Weg dorthin waren ihnen vereinzelt Fahrzeuge begegnet. Um diese Uhrzeit und bei diesem Wetter setzte sich nur jemand ins Auto, der es unbedingt musste. Außerhalb der Stadt gehörte ihnen die Straße allein. Zum Glück hatte es aufgehört zu schneien. Krauss ließ die Bremslichter dreimal hintereinander kurz aufleuchten. Dies war das Signal für Mortimer, mit dem Überholmanöver zu beginnen. Eine Minute später schob sich der BMW an ihnen vorbei, setzte sich zwischen Krauss und den Lieferwagen. Dann schloss er auf Harbacher auf, überholte auch den und verlor sich in der Dunkelheit. Mortimer würde sich nun zehn, fünfzehn
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