Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
Görings unstillbarer Hunger auf Süßes waren ihnen zum Verhängnis geworden.
Die Fahrt verlief ohne weitere Vorkommnisse. Schon gegen neun Uhr dreißig erreichten sie Neuhaus. An der Kreuzung, die in den Ort führte, erwartete sie Baldwin auf einer BMW R23. Er hatte also ein Motorrad aufgetrieben. Krausshielt hinter dem Wagen von Mortimer am Straßenrand und stieg aus. Auch der Engländer verließ das Auto, besprach sich mit Baldwin und wandte sich dann an Krauss.
»Stewart zeigt mir meine Position. Er sagt, ich brauche von hier aus rund zwanzig Minuten, um sie einzunehmen. Die Straße zur Burg hat einen vorgelagerten Posten mit fünf Soldaten und vier weiteren, die direkt am Tor stehen. Dazu weiteres Wachpersonal auf der Mauer. Es wird nicht leicht.«
»Das hat auch keiner behauptet«, sagte Krauss und ging zurück zum Lieferwagen. Miller wartete auf dem Beifahrersitz, sah ihn fragend an.
»Es läuft«, sagte Krauss und fuhr los. Die Straße schlängelte sich durch den Ort. Miller zog den Schlitten seiner Waffe durch, ließ sie einrasten und legte den Sicherungshebel um. Dann steckte er sie in den Hosenbund. Krauss verzichtete auf solche Rituale. An einer Abzweigung wies ein Schild den Weg zu Burg Veldenstein. Krauss bog ab, tuckerte mit dem beladenen Mercedes etwas beschwerlich die steile Straße hoch. Schon nach zweihundert Metern sahen sie den ersten Posten. Es war eine kleine Hütte mit Schranke, vor der zwei Soldaten standen, die Gewehre im Anschlag. Hinter der Schranke warteten weitere Bewaffnete. Statt Helmen trugen sie dicke Fellmützen mit Ohrenschützern.
Na dann, dachte Krauss. Er stoppte vor der Schranke, kurbelte das Fenster herunter. Sofort drang stechend kalte Luft in den warmen Innenraum. Einer der Soldaten trat zu ihm.
»Konditorei Harbacher«, sagte Krauss. »Wir werden erwartet.«
»Aussteigen«, befahl der Soldat. Er gab einem Kameraden ein Zeichen. Der Mann verschwand in der Hütte. Um zu telefonieren, hoffte Krauss.
»Laderaum öffnen«, herrschte ihn der Soldat an. Er war kein Freund gepflegter Konversation. Krauss ging um den Wagenherum, öffnete die ausladenden Türen. Aromatischer Geruch von frischem Gebäck schlug ihnen entgegen. Der Soldat steckte den Kopf ins Innere des Wagens, sah sich kurz um, zog den Kopf wieder heraus.
»Schließen«, befahl er. Krauss verriegelte die Türen. Der Soldat signalisierte ihm mit dem Gewehr, zurück zum Führerhaus zu gehen.
»Alles in Ordnung«, rief der Posten aus der Hütte und hob die Schranke.
»Sie dürfen weiterfahren. Die Küche liegt hinten im Hof. Fahren Sie bis dorthin durch.«
Die erste Hürde war geschafft. Krauss gab Gas, rumpelte weiter über den holprigen Weg. Vor ihm öffnete der nächste Wachposten bereits das Burgtor. Krauss und Miller fuhren hindurch auf einen geräumigen Platz. Links von ihnen parkten mehrere Limousinen, darunter Görings schwarzer Mercedes. Rechts passierten sie den Eingang zum Hauptgebäude. Am Ende des Hofes warteten bereits zwei Männer in Kellnerkluft. Sie winkten Krauss, er möge bis zu ihnen fahren. Ein dritter Mann im schwarzen Anzug trat zu den beiden Kellnern. Selbst aus der Distanz wirkte er blasiert. Wie ein englischer Butler, dachte Krauss. Das war bestimmt Görings Kammerdiener. Ohne ihn reiste er nirgendwohin. Krauss hielt vor ihm an und stieg aus in den frostigen Morgen.
»Heil Hitler. Wir bringen den Kuchen«, sagte er und lächelte.
»Wo ist Harbacher?«, fragte der Anzugträger zur Begrüßung. »Er hat mir versichert, er käme persönlich.«
Krauss zuckte mit den Achseln.
»Mein Chef lässt sich entschuldigen. Ihm ist heute Morgen plötzlich schlecht geworden. Kam von der Toilette gar nicht mehr herunter. Er ist untröstlich, dass er dem Reichsfeldmarschall nicht persönlich zum Geburtstag gratulieren kann, willdas aber auf jeden Fall nachholen, wenn es ihm besser geht. Mein Chef hat gesagt, wichtig ist es, dass die Lieblingstörtchen von Ihrer Exzellenz rechtzeitig ankommen. Alles andere kann warten.«
Der Kammerdiener taxierte Krauss kritisch. Dann gab er den beiden Kellnern ein Zeichen. Sie sollten helfen, den Wagen zu entladen.
»Sie können Harbachers Entschuldigung gleich persönlich vortragen«, sagte er. »Der Reichsfeldmarschall begutachtet gerade die Vorbereitungen in der Küche. Ich bringe Sie zu ihm.«
Krauss stockte der Atem. Das war doch nicht möglich. Auf Göring zu treffen, damit hatte keiner von ihnen tatsächlich gerechnet. Vor allem nicht am Vormittag. Der
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