Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
Reichsfeldmarschall war als Langschläfer bekannt. Krauss durfte ihm auf keinen Fall begegnen. Göring hielt ihn zwar für tot, aber er würde ihn sofort erkennen. Sie hatten erst vor wenigen Monaten eine Unterredung gehabt. Doch Krauss hatte auf die Schnelle keine Idee, wie er die drohende Katastrophe abwenden konnte. Der Kammerdiener wartete bereits in der Tür, die zum Küchentrakt führte.
»Nun kommen Sie schon. Der Reichsfeldmarschall hat nicht ewig Zeit«, sagte er ungeduldig.
Krauss folgte ihm. Was sollte er tun? Er fasste unter seine Bäckerjacke an seinen hinteren Hosenbund, umklammerte den Griff seiner Waffe. Er würde Göring erschießen. Dann hatte diese Aktion wenigstens etwas gebracht. Dass es ihnen danach gelingen würde, Oda zu befreien, bezweifelte er. Nach den Schüssen auf Göring würde die Hölle ausbrechen. Krauss folgte dem Kammerdiener an zwei kleineren Räumen vorbei, in denen Angestellte Gemüse schnitzten, hinein in die Küche. Sie war riesig, mit mehreren Öfen in der Mitte und Arbeitsflächen sowie diversen Waschbecken an den Wänden.Überall wuselte Küchenpersonal herum. An einem Tisch stand Göring, gekleidet in eine weiße Uniform, und schob sich ein kunstvoll arrangiertes Lachsröschen in den Mund. Der Kammerdiener führte Krauss zu ihm.
»Was gibt’s, Kropp?«, fragte Göring kauend.
»Ihr Gebäck ist da. Harbacher lässt sich entschuldigen.« Er nickte Krauss zu, sein Sprüchlein aufzusagen. Göring bemerkte Kropps Begleiter erst jetzt. Er richtete seinen gelangweilten Blick auf Krauss. Und erstarrte. Er weiß, wer ich bin, dachte Krauss. Jetzt wäre der richtige Moment, um ihm mitten in die hässliche Visage zu schießen. Irgendetwas hielt ihn davon ab. Eine Idee. Ein vager Schimmer. Wenn er geistesgegenwärtig reagierte.
»Alles Gute zum Geburtstag, Eure Exzellenz«, sagte Krauss. »Mein Chef ist untröstlich. Er würde sein Leben dafür geben, hier bei Ihnen zu sein und Ihnen persönlich zu gratulieren. Aber leider ist er sterbenskrank. Wenigstens sind Sie noch gesund.«
Kropp verzog genervt sein Gesicht. Aber Göring hatte verstanden.
»Lassen Sie uns allein, Kropp. Sorgen Sie dafür, dass im Saal alles hergerichtet wird.«
Der Kammerdiener verschwand.
»Sie leben also«, sagte Göring.
»Und Sie nicht mehr lange, wenn Sie nicht das tun, was ich sage.«
»Sie sind verrückt, Krauss. Wenn Sie mich erschießen, kommen Sie niemals mehr lebend hier raus.«
»Das haben andere auch geglaubt.«
Göring musterte ihn fast bewundernd.
»In der Tat. Eindrucksvoll, möchte ich sagen. Damit können Sie im Zirkus auftreten. Aber irgendwann ist Ihr Glück aufgebraucht.«
»Ich will Ihnen einen Handel vorschlagen. Sie übergeben mir Oda und den Jungen, und ich werde Sie nicht töten.«
Göring zog überrascht die Augenbrauen hoch.
»Woher wissen Sie denn das schon wieder? Sie sind wirklich unglaublich.«
»Wie lautet Ihre Entscheidung?«
Der Reichsfeldmarschall überlegte.
»Ich traue Ihnen nicht. Sie erschießen mich auf jeden Fall.«
Natürlich, dachte Krauss. Aber jeder Mensch greift nach dem rettenden Strohhalm, wenn er ihm geboten wird.
»Ich gebe Ihnen mein Wort. Oda und den Jungen gegen Ihr Leben.«
»Ich habe den Jungen nicht. Tut mir leid.«
»Ich traue Ihnen auch nicht«, sagte Krauss.
Göring grinste.
»So kommen wir nicht weiter, mein lieber Krauss. Ihr verwegener Plan droht zu scheitern. Vielleicht ergeben Sie sich einfach, und ich garantiere Ihnen, dass Sie vor ein ordentliches Gericht gestellt werden.«
»Was Sie meinen, ist ein Standgericht. Na gut. Sie haben es so gewollt.«
Krauss griff mit der Rechten in seinen hinteren Hosenbund. Göring hob beschwichtigend die Hände.
»Nun beruhigen Sie sich mal wieder. Ich überlasse Ihnen Oda ja, aber den Jungen kann ich Ihnen nicht geben, weil ich ihn nicht habe. Fragen Sie Oda. Nur sie weiß, wo der Bursche steckt.«
Krauss lief die Zeit davon. Vielleicht sagte Göring die Wahrheit, auch wenn das nicht zu ihm passte.
»Bringen Sie mich zu Oda«, sagte Krauss. »Ein falsches Wort, und Ihre Gala-Uniform hat ein paar Löcher.«
Göring ging voraus, denselben Weg durch die Küche, den Krauss mit Kropp gekommen war. Vorbei an den kleinerenRäumen raus auf den Burghof. Dort nahm Miller gerade ein Blech aus dem Lieferwagen. Als er die beiden sah, verfinsterte sich sein Gesicht. Krauss nickte ihm zu. Alles in Ordnung. Miller begriff. Göring marschierte stramm über den Hof in Richtung des Turms und der
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