Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
oft an dich gedacht.«
»Ich auch an dich«, antwortete er.
Sie lächelte ihn an.
»Zusammen schaffen wir das.«
Sie rannten los, die steile Straße hinunter, die er mit dem Lieferwagen vor vielleicht einer Stunde hochgerumpelt war. Krauss hielt Oda an der Hand, damit sie nicht fiel. Die Straße war nicht nur uneben und steil, sondern wegen des Schnees auch rutschig. Nach ungefähr hundert Metern, kurz vor einer Rechtskurve, blickte Krauss sich um. Er sah, wie Baldwin das Motorrad bestieg, um ihnen zu folgen. Er war vielleicht zwanzig Meter gefahren, da riss ihm eine Kugel den halben Kopf weg. Hansen. Verdammt!
Krauss und Oda rannten weiter. Nach der Kurve hatten sie die ersten Häuser erreicht, und die Straße wurde ebener. Sie erhöhten das Tempo. Krauss, der gut trainiert war, hätte noch schneller laufen können, aber er musste Rücksicht nehmen auf die geschwächte Oda. Zwischen zwei Häusern hindurch öffnete sich die Sicht auf ein Stück der Straße, die hinter ihnen lag. Krauss sah, wie Hansen den Weg herunterhastete. Er hatte sein Gewehr fortgeworfen und spurtete so schnell wie ein Hundertmeterläufer, die Arme schwangen weit aus, der langeZopf flatterte hinter ihm her. Mein Gott. In dem Tempo hatte er sie bald erreicht.
»Wir müssen uns beeilen, Oda«, sagte er und packte sie am Arm. Sie liefen weiter runter in den Ort. Krauss bog nach links in eine Gasse ein, weg von der Hauptstraße. Ihre Schritte klatschten auf das feuchte Pflaster. Die nächste Gasse nach rechts. Weiter. Er hielt an, lauschte. Nichts. Weiter. Sie hetzten um die nächste Ecke, dann eine weitere. Eine Frau stand an der Haustür, eine Tüte in der Hand.
»Wo geht’s hier zum Marktplatz?«, schrie Krauss.
»Da vorn rechts, dann laufen Sie direkt darauf zu«, sagte die Alte.
Sie bogen um die Ecke. Krauss erspähte den Marktplatz, die Bäume, fünfzig Meter vor ihnen. Nur noch ein paar Sekunden. Da war Straubingers Wagen. Gleich hatten sie es geschafft. Krauss drehte sich im Laufen um, sah Hansen. So nah. Er zog mit der Linken stärker an Oda, drehte sich nach hinten und feuerte aus der Rechten auf Hansen. So einen Treffer zu landen, war schwierig, fast unmöglich. Straubinger hatte den Tumult bemerkt und die Türen geöffnet. Er war startbereit. Krauss zielte wieder grob auf Hansen, registrierte, dass der ein Stück Holz zum Mund führte. Nur ein paar Meter, dann waren sie im Wagen. Oda stolperte, fiel, Krauss fing sie gerade noch auf, feuerte im Fallen auf Hansen, der in einen Türeingang sprang. Oda war plötzlich schwer, unbeweglich. Krauss sah zu ihr hin, seine Hand spürte etwas an ihrem Hals, er zog daran, hatte einen kleinen Pfeil in der Hand. Was zum Teufel war das? Ein Giftpfeil? Hatte Hansen keinen Stock zum Mund geführt, sondern ein kurzes Blasrohr? Krauss packte Oda, warf sie sich über die Schulter und rannte weiter. Lebe, Oda, lebe, flehte er. Straubinger schoss jetzt auf Hansen, mit einer Luger, die einen ohrenbetäubenden Lärm machte. Die Häuser rund um den Platz warfen das Echo zurück.Krauss legte Oda behutsam hinten in den Wagen, schlug die Tür zu, sprang selbst hinein.
»Los«, schrie er.
Straubinger stürzte ans Steuer, gab Gas. Mit quietschenden Reifen verließen sie den Marktplatz. Krauss erhaschte durchs Fenster einen Blick auf Hansen. Er stand auf dem Platz und sah ihnen nach wie ein Gastgeber, der seine Gäste verabschiedete. Krauss war sich ziemlich sicher, dass es bald ein Wiedersehen geben würde.
21.
N EUHAUS AN DER P EGNITZ
12. Januar 1940
Burg Veldenstein
Wie hypnotisiert starrte Göring auf die Nachricht in seiner Hand. Er stieß einen tiefen Seufzer aus. Die ganze Welt schien sich gegen ihn verschworen zu haben. Und das an seinem Geburtstag. Erst diese wahnsinnige Befreiungsaktion, bei der Krauss die halbe Burg in Schutt und Asche gelegt hatte, und jetzt das. Ein Kurier der Luftwaffe war auf seinem Weg nach Köln mit kriegsentscheidenden Dokumenten nahe Mechelen abgestürzt. In Belgien. Wie kam er nur dorthin, zum Teufel? Es gab die strikte Order, dass der Kurier auf dem Landweg unterwegs sein sollte. Um genau einen solchen Vorfall zu vermeiden. Nein, dieser Trottel war in ein Flugzeug gestiegen. Und ausgerechnet über Belgien abgestürzt. Göring zerknüllte das braune Papier des F. A., seines bestens vernetzten Forschungsamtes, und pfefferte es durch das Arbeitszimmer. Bei den Dokumenten des Kuriers handelte es sich um die Angriffspläne für den »Fall Gelb«, die den Überfall auf
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