Ein Freund aus alten Tagen
gehört?«
»Nein, was denn?«
»Deine Freunde im Stadtrat haben sich mit einer Menge von Einwänden und Protesten bei Rydman gemeldet. Sie rasseln mit allen Säbeln, die sie finden können, inklusive Presseombudsmann und Regierung.«
Meijtens zuckte mit den Schultern. »Jedes Kommazeichen stimmt. Sie sollten froh sein, dass sie so glimpflich davongekommen sind.«
»Sie sagen, du hättest Sjöhage zu diesen Aussagen gezwungen und sie obendrein verdreht.«
»Unsinn. Was sagt Sjöhage denn dazu?«
Bertil Andersson schwieg und ließ Meijtens nicht aus den Augen.
»Er hat sich heute Morgen erhängt.«
Plötzlich begriff er, was er in Natalie Petrinis Stimme gehört hatte und was so fremd und schwer einzuordnen gewesen war. Es war Mitleid gewesen.
Niemand behauptete offen, dass Meijtens eine Schuld an dem tragischen Vorfall traf, aber es machte sich auch niemand die Mühe, ihn zu verteidigen.
»Zu unvorsichtig«, meinte Sölvebring. »Ethik«, predigte er allen, die ihm nicht entkamen, »ist die Summe aus Erfahrungen. Man kann sie nicht lernen, indem man zu lange studiert. Es geht eben nicht nur um Beharrlichkeit und harte Arbeit, sondern darum, die Nachrichten auch richtig einschätzen zu können.«
Die öffentliche Debatte beschränkte sich auf ein paar Notizen in Konkurrenzblättern und einen moralinsauren Kommentar im Kulturradio. Die Aufmerksamkeit wandte sich rasch wieder Kuwait und der sich zuspitzenden Wirtschaftskrise zu. Nach ein paar Tagen erinnerte sich keiner mehr daran, was mit Johan Sjöhage passiert war. Oder Tobias Meijtens.
Die Pressekonferenz, die der Bürgermeister abgehalten hatte, war nahezu perfekt gewesen, das musste Meijtens zugeben. Er klagte niemanden an und schaffte es irgendwie, sich über die tragischen Ereignisse zu erheben.
»Natürlich werden wir die Abläufe und Transaktionen überprüfen, die in 7Plus zur Sprache gekommen sind, aber ich denke, alle werden Verständnis dafür haben, dass wir in diesen Stunden vor allem Sjöhages Familie helfend zur Seite stehen und uns um die Betreuung unserer tief betroffenen Belegschaft kümmern möchten.«
Dafür hatten alle Verständnis.
Meijtens hatte sich zunächst für einen zweiten Artikel eingesetzt, für den Text, den er von Anfang an hatte schreiben wollen, aber Bertil Andersson hatte das kategorisch abgelehnt. »Wir können nicht öffentlich bedauern, was vorgefallen ist, und danach noch einen Artikel bringen. Das müssen andere übernehmen.«
Nach einer längeren Besprechung mit Rydman rief Bertil Andersson Meijtens in sein Büro.
»Wir haben beschlossen, dass es das Beste sein wird, wenn du dich eine Weile zurückhältst. Keine großen Artikel, jedenfalls nicht unter deinem Namen. Wir glauben, dass sich der Sturm dann schneller legen wird.«
Sie übergaben ihm Die vergangene Woche , eine Seite, auf der die wichtigsten Nachrichten in Kurzform zusammengefasst wurden. Normalerweise wurde sie in letzter Sekunde von irgendjemandem zusammengeschrieben, der dazu verdonnert worden war und verbissen in den Tageszeitungen der vergangenen Woche blätterte, aber Bertil Andersson wollte eine Veränderung: originellere Blickwinkel, überraschende Themen. Meijtens solle dies auf gar keinen Fall als ein Strafkommando sehen. Ganz im Gegenteil, es sei eine Chance, etwas ganz eigenständig zu entwickeln.
»Und gleichzeitig nehmen wir dich aus der Schusslinie«, ergänzte der stellvertretende Chefredakteur.
Kein Mensch sprach mehr von einer festen Stelle.
Wollte man eine wohlwollende Version der Vorfälle hören, musste man ins Možels gehen, was Meijtens immer öfter tat. Keiner ging auf irgendwelche Details ein, man kannte sie nicht, und sie interessierten auch nicht. Die unausgesprochene Možels-Theorie lautete jedoch, dass Meijtens ein Opfer der Verhältnisse geworden sei. Man versuchte, sich gegenseitig davon zu überzeugen, dass er etwas noch Größeres in der Hinterhand hatte, und je öfter die Geschichte analysiert und wiedergegeben wurde, desto mehr schlüpfte Meijtens in die Rolle des Helden. Die Tatsache, dass man ihn zu Die vergangene Woche verdonnert hatte, war lediglich einer dieser Rückschläge, die wahre Größe bestätigten. Mehrere schworen, die Spalte in Zukunft zu ihrer einzigen Nachrichtenquelle zu machen.
Er selbst äußerte sich nie dazu, was bei der Sjöhage-Geschichte passiert war, er überließ es ihnen, die Mosaiksteinchen selbst zusammenzufügen, wenn er nicht am Tisch saß. Wenn sie ihn fragten, unterbrach er
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