Ein Freund aus alten Tagen
Meijtens überzeugen.
»Nicht, dass dies eine tragfähige Hypothese wäre, denn das ist es nicht. Gute Schüler färben nicht auf schlechte ab, die Leuchten können den faulen Eiern nicht helfen. So funktioniert das nicht. Aber mein Fall war eine Ausnahme, weil der Klassenprimus Erik Lindman hieß. Und wir wurden die besten Freunde.«
Meijtens saß vollkommen still und hütete sich, die Geschichte zu unterbrechen. Er wusste, dass Åke Sundström ihm bald das letzte Puzzleteil liefern würde.
»Es ging nicht darum, mir bei Algebra zu helfen oder im richtigen Moment die korrekte deutsche Präposition zuzuflüstern. Obwohl das mehr als einmal vorkam. Aber Erik brachte mir etwas viel Wichtigeres bei. Wichtiger als Schulwissen und Hausaufgaben. Er lehrte mich, wie wichtig es ist, an sich selbst zu glauben.«
Irgendwo hörten sie mit aufheulendem Motor ein Moped starten, aber ansonsten herrschte Stille. Die Laterne über der Bank war die einzige in ihrer Nähe, ansonsten wurden sie von der Herbstdunkelheit umhüllt.
»Ich denke oft, dass ich alles, was ich heute kann und was von Wert ist, Erik zu verdanken habe. Das ist vielleicht etwas übertrieben, kommt der Wahrheit aber dennoch erschreckend nahe. Fest steht, alles, was ich bin, bin ich dank ihm geworden. Irgendwie hat er mich durch die Schule gezogen, auf die Realschule und bis zum Abitur. Allein das grenzt schon an ein Wunder.«
Er lachte auf. »Ich dachte, mein Alter erschlägt mich, aber dank Eriks Unterstützung bin ich am Ball geblieben. Dann bin ich mit ihm nach Uppsala gegangen, aber das wissen Sie ja. Ich war der erste Akademiker in meiner Familie.« Er blickte zu den Baumwipfeln hoch. »Das haben sie mir natürlich nie verziehen.«
Åke Sundström verstummte, aber bevor Meijtens dazu kam, eine Frage zu formulieren, griff er den Faden selbst wieder auf. »Wie ich Ihnen ja schon erzählt habe, lebten wir uns während des Studiums in Uppsala ein wenig auseinander, aber als die Jahre nach seinem Verschwinden ins Land gingen, vergaß man die kleinen Streitigkeiten und erinnerte sich stattdessen an Erik, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Meijtens nickte.
»Mir war von Anfang an klar, dass hinter Eriks Verschwinden irgendeine Schweinerei stecken musste. Als dann immer mehr Artikel über seine angebliche Spionagetätigkeit erschienen, begann es, in meinem Kopf zu arbeiten. Ich wusste doch, dass er unschuldig war, und nach einer Weile dämmerte mir, dass einer dieser Salonbolschewisten der Schuldige sein musste. Ein Mann, der nicht nur sein Land, sondern auch seinen Freund verraten hatte, oder eine Frau, die vielleicht ihren Verlobten auf dem Gewissen hatte.«
»Wie lange hatten Sie Laurén in Verdacht?«
Åke Sundström musterte Meijtens, und es schien eine Ewigkeit zu vergehen, ehe er antwortete.
»Ehrlich gesagt, hatte ich sie lange Zeit alle drei in Verdacht, aber dann haben Laurén und Sonia geheiratet, und dann war da noch diese andere Geschichte. Ich begann, ein Muster zu erkennen.«
»Die Stiernspetzaffäre?«
Åke Sundström antwortete nicht. Meijtens nahm an, dass Åke Sundström sich mit Frieda Stiernspetz in Verbindung gesetzt hatte. Deshalb kannte sie ihn, als Meijtens und sie ihn auf dem Waldfriedhof sahen.
»Aber ich war mir nie völlig sicher, bis Sie und diese Schönheit anfingen, alles von Neuem aufzurollen. Ich wartete darauf, dass Sie alles aufdecken würden, aber stattdessen schrieben Sie gar nichts mehr darüber.« Er wandte sich Meijtens zu. »Warum eigentlich nicht?«
»Wir durften nicht. Die Sache war tabu.«
Åke Sundström nickte. »Na klar. Habe ich es nicht gesagt? Typen wie Laurén kommen immer davon.«
Plötzlich legte sich ein breites Lächeln auf sein Gesicht, und Meijtens bemerkte, dass durch die Herbstdunkelheit jemand auf sie zukam.
»Hallo, Erik«, rief Åke Sundström, »was machst du denn hier?«
Als Meijtens sich vom ersten Schock erholt hatte, sah er, dass es ein junger, etwa zwanzigjähriger Mann war, der sich ihnen auf dem Parkweg näherte.
»Das ist Erik, mein Ältester. Erik, das ist Tobias Meijtens, ein ehemaliger Zeitungsfritze.«
Sie gaben sich die Hand, und Erik Sundström lächelte freundlich. »Mama hat angerufen und mich zum Essen eingeladen. Ich war in der Nähe und dachte, ich könnte dich abholen.«
»Mein Erik hier«, sagte Åke Sundström und legte den Arm um die Schulter seines Sohnes, »wohnt mittlerweile in einem beengten Studentenwohnheim, statt seine Eltern in einem gemütlichen,
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