Ein Freund des Verblichenen
Tscheljuskinzer und die Zeit der Helden erinnerte, während man selber in einer völlig andersgearteten Epoche lebte, hatte man manchmal Lust, ein für andere unsichtbares, gewöhnliches Heldenleben zu imitieren. Und so lief ich am letzten Mittwoch meines Lebens im Nebel von einem Ende der Stadt bis an das andere. Ich ging, um dort anzukommen und mir als Belohnung für diesen Marsch einen Kaffee zu bestellen. Auch einen meiner letzten.
Mein Marsch dauerte etwas länger als zwei Stunden. Und ehrlich gesagt, verspürte ich, als ich das kleine Café betrat und zur Theke ging, überhaupt nichts mehr von der Feierlichkeit des Moments. Das Bewegen im Nebel entzieht einem jegliches Raumgefühl, das heißt, es machte es einem unmöglich, den zurückgelegten Weg richtig einzuschätzen. So war das nun mal.
Im Café brannte ein trübes Licht, und draußen war es grau. Ich setzte mich in die Ecke an meinen Lieblingstisch. Heute schien ich der erste Besucher zu sein. Die Kellnerin saß versteckt hinter der großen ungarischen Kaffeemaschine und las ein Buch. Sie ließ sich nur für einen Augenblick ablenken, um mir Kaffee zu machen, und setzte sich wieder hin.
Ein Mädchen mit einer Ledermütze und einer ziemlich kurzen dunkelgrauen Jacke, die einer altmodischen Sommerjacke ähnelte, betrat das Café. Unter dem Arm hatte sie eine große Mappe für Zeichnungen, und auf dem Rücken trug sie einen Lederrucksack. Sie setzte sich mit einem Kaffee auf die andere Seite des Ganges.
Ich hatte große Lust, mich mit ihr zu unterhalten, sie kennenzulernen. Aber sie war so in ihre eigene Gedankenwelt versunken, daß mich das abhielt.
Ich trank meinen Kaffee aus, verließ das Café und wanderte weiter. In den Nebel hinein. Meine Gefühle für den Nebel waren natürlich nicht so naiv, fröhlich und anrührend wie bei dem Kinderlied Das Igelchen im Nebel. Aber trotzdem schlenderte ich unbeschwert umher, und mir kamen verschiedene Gedanken in den Kopf. Mein letzter Tag schien der langweiligste in meinem Leben zu werden, aber das bekümmerte mich schon nicht mehr.
9
Gegen Abend dieses Mittwochs verzog sich der Nebel ein wenig, oder er war weniger sichtbar, weil er mit der Dunkelheit verschmolz. Als ich nach Hause zurücckam, besserte sich meine Stimmung schlagartig. Ich bemerkte das Fehlen vieler kleinerer Gegenstände und Details des häuslichen Lebens, die meine frühere Frau mitgenommen hatte. Sie hatte gleichsam hinter sich aufgeräumt – der Wecker mit der Batterie war verschwunden und alle möglichen kleinen Schatullen und Haarbürsten. Alles in allem erschien mir die Wohnung jetzt heimischer, als sie es vorher je gewesen war. Ich ging unbeschwert in ihr herum und atmete tief durch.
In der Nacht zum Donnerstag hatte ich farbenfrohe Träume. Ich konnte mich an keinen von ihnen erinnern, aber das Gefühl von Farbigkeit war so stark, daß ich sogar beim Aufwachen nicht die Augen öffnen, sondern immer weiter diese flüchtigen Traumbilder anschauen wollte.
Aber ich mußte an anderes denken. Ich mußte mich auf den Abend vorbereiten.
Ich badete und rasierte mich. Betrachtete mich. Ich machte mich so sorgfältig fertig, als sollte ich als Trauzeuge auftreten. Nachdem ich meinen Anzug für den Abend bereitgelegt hatte, trank ich meinen Morgenkaffee.
Der Abend kam fast unmerklich. Überhaupt konnte man vier Uhr nachmittags nur im Herbst oder Winter schon als Abend bezeichnen.
Es blieben mir noch zwei Stunden meines Lebens, und es gab keine Notwendigkeit, sich zu beeilen, um noch irgend etwas zu erledigen. Es gab keine Dinge, die nicht erledigt oder noch zu erledigen waren. Alles war abgeschlossen oder bedurfte keines Abschlusses. Und ich fühlte mich fast in Hochstimmung – endlich konnte ich an mich selber glauben, an meine Fähigkeit, entschlossen und kaltblütig zu sein. Vielleicht hatte es sich nicht gelohnt, dieses tragische Ein-Mann-Stück zu organisieren, aber ich hatte mir das ja auch nicht zur Bestätigung meiner Fähigkeiten ausgedacht. Daß sich aber meine Fähigkeiten trotz allem darin bestätigten, freute mich nur.
Bevor ich wegging, steckte ich meinen Paß und den Brief in meine Jackentasche. Ich stand eine Weile im Korridor, überlegte, was ich noch mitnehmen müßte, damit diejenigen, die die Taschen des Leichnams untersuchen würden, auch etwas hätten, was sie finden und als Schlüssel zum Rätsel des Verbrechens gebrauchen konnten. Aber mir fiel nichts ein.
Zum Abschied knallte ich die Tür zu und spürte gleich
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