Ein Freund des Verblichenen
zwei Tage her war, daß man mich hätte ermorden sollen – jeder Tag war unermeßlich lang und unbeschreiblich. Der Abend in Dimas Kiosk und die Begegnung mit seinem Chef – das waren wie mit irgend etwas Nichtigem ausgefüllte Sekunden in einem breiten und nutzlosen Zeitfluß. Früher hatte es mir Spaß gemacht, die Zeit genau abzumessen, und ich orientierte mich dabei an einem Ereignis, das ich erwartete … Irgendwessen Ankunft, ein Treffen, einfach ein Brief, den ich erwartete. Natürlich liebte ich auch die unerwarteten Briefe, aber sie gehörten zur Kategorie der Zufälligkeiten, sie waren also insofern wunderbar, als sie nicht eingeplant waren.
Jetzt mußte ich auf den Montag warten, um zum ersten Mal in meinem Leben als Zeuge aufzutreten. Genauer gesagt, als falscher Zeuge. Schon seltsam, das erste Mal im Leben nicht die eigentliche Rolle, sondern ihr Gegenteil zu spielen. Darin lag für mich fast etwas Selbstverständliches, als wäre es mir vorherbestimmt, das Gegenteil von normalen Rollen zu spielen. Als ich beschlossen hatte, die würdige Rolle des Opfers eines Auftragsmordes zu spielen, hatte der Zufall oder ein anderer es anders gewollt und mir nicht erlaubt auszuführen, was ich mir ausgedacht hatte.
Was war das? Warum? Vielleicht existiert eine Art Zensur des Schicksals, die uns erlaubt oder auch nicht erlaubt, Handlungen auszuführen?
Am Montag wachte ich erleichtert auf. Endlich war der Tag gekommen, an dem etwas passieren sollte. Ich setzte mich in die Küche, es war noch nicht einmal acht Uhr. Dann kochte ich mir Tee, setzte mich hin und wartete auf das Auto, das mich
– wie Sergej versprochen hatte – abholen sollte. Die Wanduhr tickte laut. Draußen nieselte es. Es war der Monat, den ich am wenigsten mochte –
Oktober. Die Revolution hatte damit nichts zu tun. Ich mochte die Feuchtigkeit nicht.
Gegen neun hupte unten ein Auto. Ich sah aus dem Fenster, erblickte vor dem Eingang einen großen Shiguli und begriff, daß ich gemeint war. Ich zog mich schnell an und ging hinunter.
Ein schweigsamer Chauffeur brachte mich zum Gericht. Dort kam Sergej gleich auf mich zu und sagte: »Bleib hier stehen und warte. Wenn alle drin sind, bleibst du vor der Tür, bis sie dich aufrufen.«
Ich nickte.
Nach dreißig Minuten öffnete sich die Tür zum Gerichtssaal, und eine Menge Menschen mit griesgrämigen Gesichtern strömte in den Nieselregen. Eine Frau hob sich durch ihre schwarze Kleidung hervor. Danach erschien jemand in der offenen Tür und winkte Sergej und einige andere Menschen in den Saal. Ich ging als letzter hinterher und blieb vor der Tür des Gerichtssaals stehen.
»Kommen Sie!« forderte mich ein junges Mädchen auf, das wie eine ältliche Sekretärin ein langes graukariertes Kostüm trug.
»Ich bin Zeuge«, erklärte ich. »Man hat mir gesagt, ich solle hier warten.«
Unerwartet lächelte sie.
»Das wäre so, wenn es ein Strafrechtsverfahren wäre, aber hier können Sie hinein.«
Ich ging in den Saal und setzte mich in die zweite Reihe in der Nähe der Tür.
Die Sitzung ging rasch und für mich schmerzlos vorüber. Trotzdem bekam ich mit, daß sich Sergejs Frau nicht scheiden lassen wollte. Aber Sergej verkündete gleich zu Anfang, daß der Mann, mit dem sie ihn betrogen hatte, hier im Saal säße und falls notwendig als Zeuge Beweise liefern würde. Ich konnte danach lange beobachten, wie seine Frau nervös die Reihen der Anwesenden musterte.
Nach dem Verfahren kam Sergej zu mir und übergab mir einen Briefumschlag. Er sah müde aus, aber zufrieden.
»Leicht verdientes Geld«, sagte er und lächelte. Dann zog er, ohne sich zu verabschieden, von dannen.
Ich kehrte nach Hause zurück und zählte das Geld. So viel hatte ich noch nie besessen. Tausend Dollar in Fünfziger- und Zwanzigerscheinen. Ich zählte das Geld mehrere Male durch, legte es zu je hundert auf den Küchentisch, dann packte ich es wieder zusammen. Meine Hände zitterten, aber vor Freude. Jetzt hatte ich Geld und konnte meine Schulden bezahlen. Zwar hatte ich nur minimale Schulden, für den ›Keglewitsch‹ im Café auf der Bratskaja-Straße, und dann mußte ich Lena-Wika vom Kreschtschatik irgendeine Freude machen. Das war im Grunde alles.
Ich zog einen Zwanzigdollarschein aus dem Packen, das restliche Geld wickelte ich in eine Tüte, dann in eine Zeitung und versteckte es unter der Badewanne. Schließlich hatte meine Frau ja noch die Wohnungsschlüssel, und so eine Überraschung wollte ich ihr nicht
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