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Ein Freund des Verblichenen

Ein Freund des Verblichenen

Titel: Ein Freund des Verblichenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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den doppelten Wodka auf Kredit.
    »Dich hat hier so ein Typ gesucht. Angeblich dein Klassenkamerad …«, sagte die Kellnerin so nebenbei.
    Ich nickte. Dann fiel mir ein, daß die Kellnerin meinen Namen ja gar nicht kannte.
    »Und woher wissen Sie, daß er mich suchte?« fragte ich nach einer langen Pause.
    »Er hatte ein Foto von dir. Er wohnt jetzt nicht mehr in Kiew, er war auf der Durchreise und hat dich gesucht …«
    Als ich mich mit meinem Kaffee im hinteren Saal hingesetzt hatte, begriff ich, wer mich gesucht hatte. Das bekannte Gefühl der Dumpfheit machte sich bemerkbar. Meine Hände zitterten. Ich hatte bereits alles vergessen, obwohl das Ganze ja nur ein paar Tage her war. Ich schob den Kaffee beiseite, ließ meinen Schal auf dem Stuhl liegen und kehrte zur Theke zurück.
    »Einen doppelten ›Keglewitsch‹«, bestellte ich.
    »Hat er dir geschmeckt?« lächelte die Kellnerin. »Willst du einen Limonen- oder einen Melonen-Keglewitsch? Nimm lieber Melone, der schmeckt besser.«
    »Okay, dann Melone«, nickte ich. »Und wie sah er aus, dieser Klassenkamerad?«
    »Ganz gewöhnlich«, sie zuckte mit den Schultern. »Nicht sehr groß, hatte eine dunkle Lederjacke an. Keine Sorge, der wird dich schon finden. Jemand hat ihm deine Adresse gegeben oder ihm gesagt, wo er dich finden kann …«
    »Hat er das Foto etwa allen gezeigt?«
    »Was heißt denn ›allen‹? Wie viele sind schon hier?« Sie zuckte wieder mit den Schultern. »Drei waren vielleicht hier, denen hat er das Foto gezeigt. Heute ist er auch gekommen, aber nur so, um Kaffee zu trinken. Heute hat er nicht nach dir gefragt.«
    Ich kehrte an meinen Tisch zurück und trank den Melonen-Keglewitsch. Ein Doppelter genügte nicht, und ich bestellte noch einmal zwei Doppelte.
    Nachdem ich bis zur Schließung des Cafés dagesessen hatte, schlenderte ich noch etwa eine Stunde in Podol herum, dann ging ich zu Dimas Kiosk.
    »Na, wie steht es?« fragte er.
    »Gut«, seufzte ich.
    »Du hast ’nen Tausender abgegriffen, was?« fragte er breit grinsend.
    »Ja«, nickte ich.
    »Toll! Ohne was dafür zu tun! Da kannst du aber jetzt prima leben!«
    »Hmm«, murmelte ich.
    »Was ist, hast du schon was geschluckt?«
    »Ein bißchen.«
    »Heben wir noch einen gemeinsam?«
    Ich nickte wieder. Er holte eine Flasche Wodka, verschloß die Tür und verhängte die Schaufenster. Er schenkte uns ein.
    »Jetzt kannst du deine Schulden bezahlen. Sonst hätte ich ja noch gewartet, aber da du nun bei Kasse bist, gib die Knete lieber gleich zurück …«
    Ich versuchte mich zu konzentrieren, aber in meinem Kopf waberte trunkener Nebel.
    Offensichtlich war meinem Gesicht abzulesen, daß ich nichts kapierte. Dima schnalzte mit der Zunge, trank einen Wodka.
    »Du hast heute anscheinend schon richtig zugeschlagen! Ich spreche von der Knete, die ich Kostja gegeben habe … Und überhaupt, wenn wir ganz ehrlich und geschäftlich miteinander reden, dann bist du mir noch zehn Prozent von dem Tausender schuldig. Den hast du mir ja zu verdanken …«
    Ganz allmählich begriff ich, wovon die Rede war. Ich trank ebenfalls einen Wodka und nickte entschlossen.
    »Ich gebe dir alles zurück«, sagte ich. »Morgen. Die Knete habe ich zu Hause.«
    »Ist doch egal«, Dima zuckte friedfertig mit den Schultern. »Morgen oder übermorgen, wie es dir paßt.«
    Es war noch nicht sehr spät, als mir schlecht wurde. Dima trieb irgendeinen Privattaxifahrer auf, der einverstanden war, mich nach Hause zu fahren und mir sogar zu helfen, in meine Wohnung zu gelangen. Meine Zunge war wie gelähmt, aber meine Augen hatten von Zeit zu Zeit eine Art von Lichtblick, und in einem dieser Momente sah ich den grünen Zehner, den Dima dem Fahrer gab.

15
    Gegen Mittag weckte mich das Telefon.
    »Hier ist Kostja«, sagte eine jugendliche Stimme. »Es geht alles in Ordnung. Ich habe ihn gefunden.«
    Ich nickte. Durch den Nebel des gestrigen Besäufnisses, dessen Folgen noch schwer auf meinem Gehirn lasteten, gelangte der Sinn seiner Worte nur mit Mühe in mein Bewußtsein.
    Im Hörer ertönte schon das Besetztzeichen, als ich endlich begriff, daß Kostja mich gefunden hatte, das Spiel also nicht zu Ende war und selbst dann, als ich nicht daran gedacht hatte, weitergegangen war.
    Nach zwei Tassen Kaffee und einem kalten Bad fühlte ich mich besser. Auf jeden Fall war ich imstande, in der Küche ruhig über das Vorgefallene nachzudenken. Mehrmals sah ich aus dem Fenster und betrachtete von der Höhe meiner Wohnung aus die

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