Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Freund des Verblichenen

Ein Freund des Verblichenen

Titel: Ein Freund des Verblichenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
Vom Netzwerk:
›Lebendköder‹ war vergangen. Der ›Lebendköder‹ war es leid. Schon beim Anblick von Kaffee hatte ich einen bitteren Geschmack im Mund. Genaugenommen trank ich schon keinen Kaffee mehr – ich hatte beschlossen, eine Pause zu machen und stärkere Getränke zu mir zu nehmen. So war das Warten leichter zu ertragen, und es trat eine gewisse Entspannung ein.
    Automatisch fixierte ich jeden Gast, der das Café betrat. Ein paarmal kamen junge Männer herein, auf die die Beschreibung von Kostja zutraf. Einmal bereitete ich mich sogar schon darauf vor, auf den Hof zu gehen, aber der, den ich für Kostja gehalten hatte, holte sich bei Walja eine Flasche Wodka und verschwand im hinteren Raum. Nach einer halben Stunde schleppten ihn zwei angetrunkene Männer proletarischen Aussehens vollgetankt aus dem Lokal.
    Zwanzig vor sieben kam noch ein junger Mann in Lederjacke ins Café. Er blieb einen Augenblick auf der Schwelle stehen, sah sich um und ging zur Theke.
    Währenddessen standen die beiden mir gegenübersitzenden Frauen auf und gingen hinaus. Ich wurde nervös, blickte aus den Augenwinkeln zur anderen Ecke des Cafés, wo Wanja vor seinem Bier saß. Er fing meinen Blick auf und trommelte mit den Fingern auf den Tisch.
    Malinin beendete sein Lied, und die Kassette war auch zu Ende. In der danach entstehenden Pause hörte man von der Straße her das Prasseln des Regens.
    ›Das hat mir gerade noch gefehlt‹, dachte ich. Einen Schirm hatte ich nicht dabei. »Macht allmählich Schluß!« verkündete die Kellnerin, bevor sie Schufutinski auflegte.
    Der zuletzt hereingekommene Gast setzte sich mir gegenüber, stellte seine Tasse Kaffee vor sich auf den Tisch und drehte sie am Henkel spielerisch um ihre eigene Achse. Auf seiner Lederjacke war kein Tropfen. Anscheinend hatte es gerade erst angefangen zu regnen.
    Plötzlich sah er mich durchdringend an. Mir wurde ganz anders. Ich zweifelte nicht mehr daran, daß er Kostja war.
    »Wie spät ist es?« fragte er mich.
    »Fünf vor sieben.«
    Er nickte und sah in seine Tasse.
    Ich spürte, wie meine Knie zu zittern begannen. Vielleicht wäre es nicht ganz so schlimm gewesen, wenn er sich an einen anderen Tisch gesetzt hätte, aber er hatte wohl absichtlich mir gegenüber Platz genommen.
    Plötzlich fiel mir ein, daß sich einige Insekten im Moment der Gefahr totstellen. Ich verlor die Kontrolle über mich. Offensichtlich geriet ich vor Schreck in einen insektenähnlichen Zustand. Nur mit dem einen Unterschied, daß mich dies nicht rettete.
    Er sah mich wieder an, und seine Lippen bewegten sich ganz leicht.
    Woran dachte er wohl jetzt? Oder stimmte er sich einfach auf die bevorstehende ›Arbeit‹ ein?
    In diesem Moment begriff ich, daß ich, wenn ich jetzt nicht vom Tisch aufstünde, nicht mehr hochkäme.
    ›Du mußt pinkeln! Du mußt pinkeln gehen!‹ hämmerte ich mir in Gedanken ein und bemühte mich, den Schrecken abzuschütteln.
    Schließlich stand ich auf und bemerkte in diesem Moment, daß Kostjas Hand krampfhaft zuckte. Er verschüttete seinen Kaffee auf dem Tisch und stellte die Tasse hin, ohne einen Schluck getrunken zu haben.
    Ich versuchte mit aller Gewalt, langsam zu gehen, lief aus dem Café in den Regen hinaus, brachte zwanzig Meter auf der Straße hinter mich und bog in die von Wanja ausgesuchte Toreinfahrt ein.
    Wegen des Regens konnte ich nicht hören, ob mir jemand folgte oder nicht. Im Hof fühlte ich mich an die Wand gedrückt.
    Ringsum ein unsichtbarer dunkler Raum.
    Vor meinen Füßen raschelte etwas.
    Eher aus der Erinnerung als dank meiner Augen kam ich zum Müllcontainer und erstarrte erneut.
    Schritte waren zu hören, vorsichtige und unsichere.
    Mir lief ein Schauer über den Rücken.
    Ich lief hinter den Müllcontainer, und hier überfiel mich wieder eine lähmende Angst. In meiner Tasche lagen die Dollar, und ich wußte schon nicht mehr, vor wem ich mehr Angst haben sollte – vor Kostja oder meinem Beschützer, der sich so schnell ohne jeden Vorschuß zu dieser Arbeit bereit erklärt hatte.
    In der Dunkelheit konnte ich trotzdem die Türeinfassung des halbzerfallenen dreistöckigen Hauses ausmachen. Über Ziegel und zerbrochene Flaschen tappte ich dort hinein, verbarg mich hinter einer Wand, hockte mich hin und hielt den Atem an.
    Wieder knirschten auf dem Hof irgendwessen Schuhe auf zerbrochenem Glas. Dann herrschte einige lange Minuten Stille, die sich nur mit dem allmählich nachlassenden Geräusch des Regens vermischte. Und dann war das

Weitere Kostenlose Bücher