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Ein Freund des Verblichenen

Ein Freund des Verblichenen

Titel: Ein Freund des Verblichenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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ist es eine Grippe!« warnte ich sie.
    Sie versuchte mich mit Liebe zu heilen, aber im Endeffekt steckte sie sich tatsächlich an, und wir lagen zu zweit und ›starben‹ auf dem ausgezogenen Sofa, abwechselnd hustend und Fieber messend. Zu zweit krank zu sein ist aber leichter. Lena schaffte es, nicht nur krank zu sein, sondern trotzdem etwas zu kochen und sich selber und mich mit Tee und Honig zu tränken.
    Wir waren fast eine Woche lang krank, aber dann besserte sich unser Zustand.
    »Meine haben sicher schon in allen Leichenhallen angerufen!« mutmaßte sie plötzlich eines Abends.
    »Ruf sie doch an, sag, daß du lebst!«
    Unwillig wählte Lena eine Nummer. Sie sagte tatsächlich nur: »Hallo, ich lebe noch. Tschüs!« Und legte auf.
    Dann erbot sie sich, in ein Lebensmittelgeschäft zu gehen – alles Eßbare im Haus war verzehrt.
    Wir aßen fast um Mitternacht. Es gab Fleisch und Wein.
    Nach dem Wein zog es mich zu ihr, aber sie gab mir einen Kuß, schüttelte mich ab und wies mich auf den Stuhl.
    »Bei mir ist Betriebsruhe!« sagte sie, und ich verstand.
    Wir schliefen nebeneinander und wärmten uns gegenseitig.
    Draußen tobte ein starker Sturm. Manchmal zitterten die Fensterscheiben. Ich träumte von einem Schneesturm.
    Es wird ja bald schneien, und bei so einem Wind schlägt er einem schmerzhaft ins Gesicht.
    Ich schlief nicht tief, und aus Nostalgie und Romantik entstehende Gedanken liebkosten das Gehirn und gaben ihm reiche Nahrung für Traumbilder.

20
    Dann kam der erste Novemberdienstag.
    »Jetzt waren wir lange genug krank, es reicht!« sagte Lena nach dem Frühstück.
    Sie zog sich an, packte ihre Sachen in einen kleinen ledernen Rucksack, und mit einem »Ich ruf dich bald wieder an« verschwand sie aus der Wohnung. Auf dem Treppenabsatz drehte sie sich noch einmal um, lächelte und schickte von ihren dünnen Lippen einen Kuß über die kleine Entfernung, die uns trennte.
    Ich blieb wieder allein. Die Erkältung war vorbei, Lena weggefahren.
    Der Winter begann.
    Schon ein paarmal war versuchsweise Schnee gefallen, wie zur Probe, aber es schneite und taute sofort wieder.
    Ich sah aus dem Fenster und spürte, daß ich aus der Zeit gefallen war. Man mußte diese Zeit einholen. Aber wie?
    Die einfachste Lösung erwies sich auch als die annehmbarste: Ich ging in die Bibliothek der Hauptverwaltung und machte mich gemeinsam mit einem wissensdurstigen Rentner daran, ein Bündel von Zeitungen der letzten paar Wochen durchzublättern. Auf der letzten Seite des ›Kiew am Abend‹ stach mir eine schwarz gerahmte Beileidserklärung für den früheren leitenden Ingenieur der Artem-Fabrik, Nikolaj Grigorjewitsch Schustenko, anläßlich des tragischen Todes seines Sohnes Konstantin ins Auge. Ich fand die ›Kiewer Nachrichten‹ desselben Datums, und da erfuhr ich entschieden mehr über das mir wohlbekannte Ereignis.
    Es wurde auf den Ort verwiesen und die vermutliche Mordwaffe. Nur die von der Zeitung dargestellte Version war weit von der Realität entfernt.
    Alles in allem schien auch die Polizei davon auszugehen, daß Kostja ermordet worden war, um sich am Vater zu rächen, der, wie aus der Reportage hervorging, nicht nur einfach der frühere leitende Ingenieur war, sondern auch der amtierende Direktor der Unabhängigen Immobilienbörse. Früher hatte schon einmal jemand versucht, sein Auto in die Luft zu sprengen, zweimal hatten sie die Wohnungstür angezündet. Die Beweiskette ergab sich wie von selbst. Die Ereignisse türmten sich wie Ziegelsteine einer auf den anderen, und obendrauf, als letzter und abschließender Stein dieses unheilverkündenden Bauwerks, stand der Mord.
    Ich las auch die Kiewer Kriminalberichte der anderen Tage – es war immer dasselbe –, Morde, Explosionen, Auseinandersetzungen. Das gewöhnliche Alltagsleben einer Großstadt.
    Jetzt wußte ich genau, daß in Kiew während meiner Krankheit nichts Besonderes passiert war.
    Nur das Wetter brachte Abwechslung, es schneite wieder.
    Ich erinnerte mich, daß ich bis zu diesem Zeitpunkt, der Zeit des ersten Schnees, nicht mehr hatte leben wollen. Traurig lächelte ich darüber.
    Trotz allem hatte ich den Schnee noch erlebt! Nur hätte man das vielleicht leichter erreichen können, ohne diese wilde Geschichte, die so schlecht und dabei so gut für mich ausgegangen war.
    Zum Zeichen meiner Lebendigkeit beschloß ich, ins Café auf der Bratskaja-Straße zu fahren.
    Dort war es leer. Nur in einer Ecke saß das etwas komische Mädchen mit der

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