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Ein Freund des Verblichenen

Ein Freund des Verblichenen

Titel: Ein Freund des Verblichenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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mir und umarmte sie. Und ich schlief in dem Gefühl absoluter Sicherheit ein.

16
    Als ich am Tag wieder allein war, begann ich ernsthaft über meine Sicherheit nachzudenken. Um diesem Nachdenken eine konkrete Richtung zu geben, ging ich nach unten und kaufte am Kiosk beim Delikatessengeschäft ein Anzeigenblatt. Ich fand die Rubrik ›Dienstleistungen‹. Neben Hunderten von Klempnern und Parkettverlegern entdeckte ich auch zwei Wachschutzfirmen und wählte gleich die erste Nummer.
    »Hallo, hier ist die Firma ›Topsan‹«, säuselte eine angenehme Frauenstimme.
    »Entschuldigen Sie«, stotterte ich verwirrt. »Ich brauche vielleicht einen Bodyguard … Was muß ich da tun?«
    »Sie können zu uns kommen, und wir schließen mit Ihnen einen Vertrag ab.«
    »Und was wird das etwa kosten?«
    »Wir haben verschiedene Preise, das hängt von den konkreten Leistungen ab, von fünfzig Dollar an aufwärts.«
    »Im Monat?«
    »Für einen Tag«, korrigierte mich die Frau.
    Ich bedankte mich und legte den Hörer auf. Fünfzig Dollar pro Tag für meinen eigenen Schutz zu bezahlen hatte keinen Sinn. Das würde für sieben Tage reichen, und dann?
    Ich seufzte, setzte mich bequemer auf den Stuhl und las einfach die Zeitungsannoncen durch. Die Anzeigen wirkten wie ein hervorragendes Beruhigungsmittel. Während ich sie las, bekam ich den Eindruck eines völlig normalen Lebens. Der eine baute Häuser und Datschen, ein anderer züchtete Nerze, ein dritter seltene Rosensorten und bot die Samen allen Kaufwilligen per Post an. Und selbst bei den ›Einsamen Herzen‹ gab es nur gute Menschen, die nicht tranken und nicht rauchten und ihresgleichen suchten. Die Welt erschien so ideal, daß man ewig leben wollte.
    Während ich mich über die Wünsche der Leute informierte, die das, was sie nicht hatten, kaufen oder das, was sie hatten, verkaufen wollten, stieß ich auf eine Anzeige völlig anderer Art, die aus dem bürgerlichen Kontext herausfiel.
    »Für eine hohe Belohnung bin ich bereit, Aufträge zu übernehmen, die mit Lebensgefahr verbunden sind.« Statt einer Telefonnummer war nur eine Adresse angegeben: Irpen, Sowjetskaja-Straße 87.
    Gleich am nächsten Morgen fuhr ich in dem schmutzigen Waggon der Vorstadtbahn, im vollgepfropften Abteil stehend, nach Irpen. Die Sowjetskaja-Straße fand ich sehr schnell und suchte nach der Hausnummer.
    Nach etwa zehn Minuten blieb ich vor einer Pforte stehen, an der die von mir gesuchte Nummer hing. Das Haus lag tief zurückgesetzt auf einem Hof, hinter einem alten ungepflegten Garten. Das Haus war ebenfalls alt und vernachlässigt. Ich ging um das Haus herum, fand eine blechbeschlagene Eingangstür und klopfte.
    Nach einer Minute drang aus dem Haus ein lautes Geräusch. Irgend etwas Gläsernes war heruntergefallen und rollte über den Holzfußboden. Hinter der Tür hörte man Schritte.
    »Wer ist da?« fragte eine krächzende Männerstimme.
    »Ich komme wegen der Anzeige.«
    Die Tür ging auf, und das aufgedunsene, unrasierte Gesicht eines Mannes von um die Vierzig sah heraus. Er atmete die frische Luft ein und wurde etwas munterer.
    »Komm rein!« sagte er, drehte sich um und ging ins Haus.
    Ich verschloß die Tür hinter mir mit einem Riegel und folgte ihm.
    Im Zimmer hing ein muffiger Geruch. Auf allen Möbeln lagen Spitzendeckchen. An der Wand hing ein Doppelporträt von zwei alten Leuten.
    »Also?« fragte er, als er sich hinter einen Tisch gesetzt hatte, auf dem ebenfalls eine Spitzendecke lag.
    Ich kam etwas näher, streckte ihm die Hand hin und sagte: »Tolja.«
    »Wanja«, antwortete er. »Also?«
    Sein dauerndes ›also‹ begann mir auf die Nerven zu gehen. Aber ich beschloß, mich zu beherrschen und gleich zur Sache zu kommen.
    »Man will mich umbringen«, sagte ich.
    Er nickte. Mir kam es so vor, als sei ich noch nie in einer dümmeren Situation gewesen außer der, in der ich mich gerade befand. Ich stand vom Tisch auf, um wieder zu gehen.
    »Was hast du?« krächzte Wanja verwundert. »Ich hör dir doch zu …«
    »Laß mich besser dir zuhören«, schlug ich vor. Meine Stimmung hatte sich schlagartig verschlechtert, und in so einer Laune fällt es einem leicht, grob zu werden.
    »Und was soll ich dir erzählen?«
    »Erzähle von dir, was du alles kannst.«
    »Ich kann alles … In der Armee war ich Fähnrich, in Afghanistan … ich habe schon Güterzüge begleitet, Autos aus Deutschland rübergebracht, war bei Demontagen …«
    Interessant war, daß seine krächzende Stimme ganz

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