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Ein Freund des Verblichenen

Ein Freund des Verblichenen

Titel: Ein Freund des Verblichenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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seinem Äußeren entsprach und sogar zur Kleidung paßte, obwohl er kaum etwas anhatte, nur ein gestreiftes Matrosentrikot und eine Trainingshose mit zwei weißen Streifen an der Seite.
    »Hast du verstanden, was ich gesagt habe?«
    »Ja.« Wanjas Gesichtsausdruck war ernsthaft und geschäftlich. »Verstanden. Ich kann das übernehmen.«
    »Für wieviel?«
    Wanja kaute auf seiner Unterlippe und musterte mich, meine Kleidung abschätzend – offensichtlich rechnete er sich aus, wieviel er von mir verlangen konnte.
    »Nun, wenn es ohne Versicherung ist … fünfhundert Grüne.«
    »Zu viel«, sagte ich.
    »Nun, dann vierhundert …«, krächzte er und sah mir direkt in die Augen.
    »Ich kann dir dreihundertfünfzig geben«, schlug ich mit der Stimme eines sehr erschöpften Mannes vor.
    Das Feilschen hatte ich bei den Privattaxis gelernt, die mich von der U-Bahn nach Hause fuhren.
    »In Ordnung«, erklärte sich Wanja einverstanden. »Erzähle.«
    Ich ersparte ihm die ganze Vorgeschichte. Im Gegenteil, ich erzählte ihm, daß ein früherer Geschäftspartner alte Rechnungen mit mir begleichen wollte. Und ich beschrieb ihn mit den Worten der Kellnerin.
    »Na ja, er wird dir im Café auflauern, heißt das«, brummte Wanja nachdenklich. »Alles klar. In Ordnung. Gibt es einen Vorschuß?«
    Ich schüttelte verneinend den Kopf.
    Das verdroß ihn nicht allzusehr.
    Er saß da, strich mit der Hand über seine unrasierte rechte Wange und überlegte.
    Nach etwa fünf Minuten war sein mageres Gesicht noch länger geworden, er runzelte nachdenklich die Stirn, starrte an die Decke. Er fuhr mit der Hand unter das Trikot und kratzte sich am linken Schlüsselbein.
    »Alles klar«, krächzte er.
    »Was?« fragte ich ihn.
    »Man braucht einen ›Lebendköder‹.«
    »Was für einen?«
    »Nun, er will doch dich? Das heißt, wir müssen dich auf den Haken spießen …«
    Seine Worte entbehrten nicht der Logik, aber die Idee gefiel mir nicht.
    »Verstehst du, wenn er irgendwo sitzt und lauert, dann wird er nicht auf mich losgehen, ich bin für ihn ja ein unbeschriebenes Blatt. Aber auf dich geht er los. Dich will er.«
    »Und wenn er es schafft?«
    »Das laß mal meine Sorge sein«, unterbrach mich Wanja. »Morgen zeigst du mir das Café, und wir entscheiden alles an Ort und Stelle.«
    Wir verabredeten uns für elf Uhr im Podol und gingen auseinander.

17
    Wanja erwies sich ungeachtet seines Äußeren und seines Wohnortes als pünktlich. Genau um elf kam er auf mich zu. Ich selbst hätte ihn fast nicht erkannt, er hatte Jeans und eine grüne Daunenjacke an, die ihn dicker machte. Sogar sein Gesicht sah frisch aus, vielleicht, weil er sich rasiert hatte.
    »Also?« sagte er statt einer Begrüßung.
    Ich nickte nur. Und wir zogen zur Bratskaja.
    Das Café hatte gerade erst aufgemacht, und die Kellnerin bat uns, zehn Minuten zu warten, bis die Kaffeemaschine kochte.
    »Vielleicht erst einmal einen Doppelten?« schlug sie vor.
    »Bei der Arbeit trinke ich nicht«, antwortete Wanja kurz und scharf.
    Ich setzte mich an ›meinen‹ Tisch in der Ecke. Wanja ging in den hinteren Raum und kam wieder zurück. Er setzte sich neben mich.
    »So, so«, murmelte er vor sich hin.
    Dann sah er mich an.
    »Ich bin gleich wieder da«, sagte er und ging raus.
    Ich blieb allein im Café. Die Kellnerin war in den hinteren Labyrinthen verschwunden. Die Kaffeemaschine gurgelte leise.
    Die Tür zur Straße war geschlossen. In dieser Stille bemühte ich mich sogar, leiser zu atmen.
    Plötzlich ging die Tür auf – ich drückte mich an die Wand –, und in das Café platzte ein großmäuliger Kerl in einer schmutzigen beigefarbenen Jacke und mit einer schwarzen Strickmütze auf dem Kopf.
    »Walja!« brüllte er.
    Die Kellnerin tauchte aus den hinteren Räumen auf.
    »Soll ich dir heute Wodka ranfahren?«
    »Nein, Wodka ist noch da. Aber ich brauche einen Kasten Amaretto.«
    Der Mann nickte und ging hinaus.
    Die Kellnerin kontrollierte die Kaffeemaschine.
    »Willst du einen Mokka?« fragte sie mich.
    »Ja.«
    »Und dein Freund?«
    »Der kommt gleich, und dann wird er selber …«
    Ich nahm mir meinen Kaffee von der Theke.
    Die Stille war aufreizend. Ich fühlte mich angespannt, und diese Spannung übertrug sich auf meine Muskeln, meine Hände, mein Gesicht, als ob ich versteinert wäre.
    Der Kaffee in der Tasse dampfte.
    Irgend etwas fehlte hier. Es fehlte das, was ich nicht liebte, woran ich aber gewöhnt war, weil dieses Etwas ein elementarer Bestandteil des Cafés

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