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Ein Freund des Verblichenen

Ein Freund des Verblichenen

Titel: Ein Freund des Verblichenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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war, wie Wasserstoff ein unabdinglicher Bestandteil des Wassers ist. Schließlich begriff ich, was es war.
    »Walja!« rief ich die Kellnerin zum ersten Mal beim Namen.
    Merkwürdig, daß sie im Laufe so vieler Jahre für mich namenlos geblieben war!
    »Walja! Leg mal Musik auf!«
    »Schufutinskij?« fragte sie, als wären wir in den eigenen vier Wänden.
    »Und was gibt es noch?«
    Sie beugte sich über den Kassettenrecorder. Ich hörte, wie sie einige Kassetten in die Hand nahm.
    »Allegrowa«, las sie vor, ohne sich aufzurichten. »Alena Apina, Kirkorow, die Brüder Gadjukin …«
    Es war eine sehr nationale Sammlung.
    Ich wählte Apina. Mir gefielen ihre fotogenen Sommersprossen auf dem Fernsehbildschirm.
    »Nur nicht so laut«, bat ich.
    »Zwei Stückchen von der Wurst …«, legte die Sängerin los, und meine Anspannung wich.
    Ich trank einen Schluck Kaffee. Mir wurde wohler.
    Wieder ging die Eingangstür auf, aber ich bekam nicht mehr so einen Schrecken wie beim ersten Mal. Wanja kam zurück und setzte sich mir gegenüber.
    »Willst du einen Kaffee?« fragte ich.
    »Nein. Los, gehen wir!«
    »Einen Augenblick, ich trinke nur aus.«
    Wanja wartete geduldig. Aber ich wollte den Kaffee nicht mit einem Schluck runterkippen.
    Als wir aus dem Café kamen, führte mich Wanja in den Hof des Nachbarhauses. Auf diesem verwilderten Hof lag das Wrack eines Shiguli, dahinter war ein Müllcontainer, und hinter dem Müll stand ein verlassenes dreistöckiges Haus, das auf eine Sanierung wohl schon nicht mehr zu hoffen brauchte. Einzig die Außenwände und Teile von zerfallenden Zwischenwänden, Haufen von Balken und Ziegelsteinen waren noch vorhanden.
    Hier blieb Wanja stehen.
    »Hör zu«, sagte er. »Wir werden jetzt jeden Tag von fünf bis zum Lokalschluß im Café sitzen. An verschiedenen Tischen. Wenn er auftaucht, gehst du raus und tust so, als müßtest du pinkeln. Hierher, an diese Stelle zwischen dem Müll und dem Haus. Er wird dir folgen – und ich dir. Klar?«
    Ich nickte.
    »Und noch eins. Gleich danach, an Ort und Stelle, rechnen wir ab, damit ich dich nie wiedersehen muß. Bring die Knete mit.«
     
    Diese Idee wie überhaupt der ganze Plan gefiel mir nicht, aber es war klar, daß es keinen Sinn hatte, mit Wanja zu streiten. Jetzt gab er die Befehle, und anscheinend wußte er besser als ich, was zu tun war.
    »Wann fangen wir an?« fragte ich.
    »Heute. Warum alles in die Länge ziehen, unnötig in der Vorortbahn durchgeschüttelt werden! Um fünf Uhr nachmittags im Café!«
    Ich fuhr nach Hause, nahm ein Bad und aß zu Mittag.
    Ich legte mich ein bißchen hin.
    Im Liegen dachte ich an den Abend. An diesen ›Lebendköder‹. Schon in dem Wort lag eine klare Mißachtung dem Lebenden gegenüber, also mir. Ich war so etwas Winziges, im Grunde ein Wurm, mit dem man einen dicken Fisch fangen wollte.
    Die Zeit verstrich langsam.
    Um vier Uhr verließ ich das Haus. Es wurde schon dunkel.
    Mein Platz im Café war besetzt. Ich bestellte meinen üblichen doppelten Mokka und setzte mich an einen Tisch nahe der Theke.
    Aus den Augenwinkeln bemerkte ich Wanja. Er saß beim Eingang. Vor ihm auf dem Tisch standen ein Glas und eine offene Bierflasche.
    »Bei der Arbeit trinke ich nicht«, erinnerte ich mich an seinen morgendlichen Spruch.
    Ich sah mich im Raum um und begriff, daß Kostja nicht hier war.
    Nach dem zweiten doppelten Mokka hatte ich einen bitteren Geschmack im Mund. Und bis zum Ladenschluß blieb noch eine Stunde. Ich holte mir einen doppelten ›Keglewitsch‹. Jetzt fiel mir das Sitzen leichter. Die kleinen Schlucke des Melonenwodkas verdrängten allmählich den bitteren Geschmack im Mund. Die Zeit verging ein bißchen schneller.
    Gegen sieben begann die Kellnerin die Gäste hinauszubitten. Wanja und ich waren die letzten.
    »Geh Richtung U-Bahn«, flüsterte mir Wanja zu, als ich beim Hinausgehen an seinem Tisch vorbeiging.
    Ich lief los. Die abendliche Dunkelheit hüllte die Straße völlig ein. Meine Schuhe klapperten laut auf dem Asphalt, und sosehr ich mich auch bemühte, es gelang mir nicht, leiser zu gehen. Ich bog links um die Ecke und lief an der weißen Wand der Mogiljanskij-Akademie entlang. Etwa fünfzig Meter davor lag der Kontraktowaja-Platz, von Straßenlaternen und den Scheinwerfern der vorbeirauschenden Autos erleuchtet.
    Wanja holte mich schon beim Eingang zur U-Bahn ein.
    »Morgen wieder dort um fünf«, sagte er und tauchte in die Unterführung ab.

18
    Der dritte Tag der Jagd mit dem

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