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Ein Freund des Verblichenen

Ein Freund des Verblichenen

Titel: Ein Freund des Verblichenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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den friedlich im Schlaf schnaufenden Mischa zu zeigen.
    »Und wenn er um sieben noch schläft?« fragte ich vorsichtig.
    »Er wacht schon auf«, sagte Marina überzeugt. »Kleine Kinder sind wie die Pawlowschen Hunde. Wenn man sie einmal an einen Stundenplan gewöhnt hat, befolgen sie den von ganz allein …«
    Die Tür klappte zu, und ich blieb allein in der Stille einer fremden Wohnung. In so einer Zweizimmerwohnung hatte ich früher mit meinen Eltern gewohnt, nur daß wir im obersten, im vierten Stock gewohnt hatten. Alles übrige war genauso gewesen – zwei aneinandergrenzende Zimmer, eine Streichholzschachtel von Toilette, ein ebensolches Badezimmer mit von der Feuchtigkeit vergilbter Tünche an der niedrigen Decke und eine Küche mit einem Fenster, unter dem traditionsgemäß der wichtigste Gegenstand der Einrichtung stand – ein Küchentisch mit einer Plastikplatte, auf der vom Genie eines spitzfindigen Designers blaßgrüne Ahornblätter aufgedruckt waren. Die Tischplatte hatte eine Alukante, unter der normalerweise Brotkrümel und sonstiger Küchenstaub steckte.
    Aber diese Wohnung war viel gepflegter als unsere, die Decken waren hier weiß, und die furnierten Türen glänzten vor weißer Ölfarbe. Die Tür zum zweiten Zimmer war angelehnt, aber ich wußte, daß sich dahinter das Schlafzimmer befand. In allen diesen Wohnungen war das Schlafzimmer dort, in dem zweiten, hinteren Zimmer.
    Ich hatte mich umgeschaut, setzte mich auf das Sofa, betrachtete das auf Zuwachs gekaufte Kinderbett, das Bündel mit dem Kind, das Mischa hieß. Das Kind schlief. Und einen Augenblick lang verspürte ich in meiner Seele Frieden und Ruhe, als wenn ich zu Hause und alles bei mir in Ordnung wäre, alles so, wie bei Millionen von anderen Menschen: Das Kind war mein Kind, und der ›Elektron‹-Fernseher, der die ganze Ecke neben dem Balkon einnahm, gehörte mir und die Kristallvasen auf der deutschen Anrichte und die drei ungelesenen Bände über die drei Musketiere und eine ebenfalls ungelesene, aber wunderschön gebundene Ausgabe der ›sowjetischen Bibel‹, der zweibändigen Puschkin-Ausgabe, die damals in einer Auflage von zwei Millionen herausgegeben worden war. Aber dieser Augenblick ging vorbei, und ich saß wieder in einer fremden, mir unbekannten Wohnung und starrte auf den Wecker auf dem Fernseher. Bis acht Uhr waren es noch eine Stunde fünfzig Minuten. Ob Lena wohl schon angefangen hatte, uns was zu Abend zu kochen? Heute hatte sie Pommes frites versprochen. Das Leben ist nicht sehr abwechslungsreich. Vor etwa zwölf Jahren hatte ich schon einmal eine Freundin, die es liebte, mich mit Pommes frites zu füttern. Aber das war schon so lange her, daß ich mich nicht einmal mehr an das Gesicht dieser Freundin erinnern konnte.
    Ich stand vom Sofa auf, lief durch das Zimmer. Auf dem polierten Fernseher bemerkte ich eine Staubschicht, keine sehr dicke, aber es reichte, um mit dem Finger drauf zu zeichnen. Und ich malte mit runden Buchstaben neben den tickenden Wecker »Guten Abend«. Ich ging in die Küche, fand auf dem Regal über dem Herd eine Packung indischen Tee und stellte den Teekessel auf.
    Das Heimischwerden in einer Wohnung sollte immer in der Küche beginnen, und tatsächlich fühlte ich mich dort besser. Vielleicht weil ich hier schon einmal gesessen hatte, als ich die Dollar abgab? Jetzt setzte ich mich auf denselben Platz rechts neben dem Fenster. Der Teekessel begann zu pfeifen, und dieser häusliche Klang verschmolz mit der Stille, bemächtigte sich ihrer und verringerte sie. Und draußen lauschte der windlose Dezemberabend auf das laute Rattern der Straßenbahnen. In der Dunkelheit blinkten gelbe Lichter, und eins von ihnen beleuchtete die kahlen Bäume und einen weißen »Shiguli«, der vor dem Haus stand.
    Der starke Tee ließ die Zeit schneller vergehen, und als ich ins Zimmer zurücckehrte, zeigte der Wecker schon auf dreiviertel sieben. Ich guckte ins Bettchen, das Kind schlief noch.
    Gegen sieben holte ich die Flasche mit dem Schnuller aus der Küche und beugte mich wieder über das Kind, aber seine Augen waren geschlossen. Es schlief ganz fest, und ich mußte lächeln, als ich mich daran erinnerte, daß Marina beim Weggehen kleine Kinder mit Pawlowschen Hunden verglichen hatte.
    Da ich selber schon Hunger hatte, lief ich in die Küche, um die Flasche mit dem Schnuller zurück auf die Heizung zu stellen, und sah in den Kühlschrank. Dort fand ich alles, was ich für einen Imbiß brauchte: Butter,

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