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Ein Freund des Verblichenen

Ein Freund des Verblichenen

Titel: Ein Freund des Verblichenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Kartoffeln zu einer Delikatesse geworden. Und jetzt lagen auf dem Tisch eine Salami, ein langes französisches Baguette, ein Stück Butter, türkisches Gebäck …
    »Das ist ja wie humanitäre Hilfe!« sagte ich. »Danke!«
    Sie lachte immer noch.
    »Hungrig kann ich dich nicht brauchen!«
    »Und wieso satt?«
    »Ha ha ha!« lachte sie. »Das sage ich dir nachher! Wenn du satt bist! Wann hast du das letzte Mal was gegessen?«
    »Richtig gegessen habe ich vor zwei Wochen, aber heute früh habe ich einen Happen zu mir genommen«, gestand ich.
    »Toll, gib mal Gabeln und Messer raus. Hast du Kartoffeln?«
    »Ein paar Kilo müßten noch da sein …«
    »Alles klar«, sagte sie mit der Stimme eines Ordners. »Also feiern wir heute ein Fest, und morgen holst du Kartoffeln! Leg den Sekt in das oberste Fach vom Eisschrank. Hast du da Platz?«
    »Da ist massenhaft Platz!« Ich machte den Eisschrank auf und zeigte Lena die gähnende Leere.
    »Wie lebst du denn!« schüttelte sie den Kopf.
    Schon nach einer halben Stunde war das Abendbrot fertig. Das Gefühl eines Festes wurde noch durch das Decken des Tischs verstärkt. Ich holte zwei Kristallgläser.
    »Ein paar Blumen wären schön hier«, äußerte Lena verträumt und betrachtete das von ihr ge
    schaffene Stilleben.
    Ich senkte schuldbewußt den Kopf.
    »Ach, hör auf«, sie winkte ab. »Das habe ich nur so gesagt, ich träume … Im übrigen hast du mir nicht ein einziges Mal Blumen geschenkt.«
    »Aber ich weiß doch auch nie, wann du kommst …«
    Das Abendbrot begannen wir mit Sekt.
    »Auf was trinken wir?« fragte ich und hob das Glas.
    »Auf uns!« sagte Lena heiter. »Darauf, daß bei uns alles gut wird, daß wir gesund bleiben!«
    Die gekochten Kartoffeln, die dünnen Salamischeiben, das frische knusprige Brot mit Butter. Das Fest des Magens vermischte sich mit dem Fest der Seele, die Atmosphäre einer physischen, stürmischen Freude erfüllte meine kleine Wohnung.
    »Ist dein Kassettenrecorder in Ordnung?« fragte Lena.
    »Sicher, ich habe ihn lange nicht benutzt …«
    Sie zog eine Kassette aus ihrer Tasche und schob sie mir hin. »Da, leg sie bitte ein!« Ich ging ins Zimmer, legte die Kassette ein und
    kam zurück. Erst nach ein paar Minuten begann die Musik. Aber als sie anfing, hielt ich vor Verwunderung die Gabel mit der Wurst in der Luft, ohne sie zum Mund zu führen. Erstaunt sah ich Lena an. Sie lachte und winkte mit den Händen ab.
    »Das ist Corelli … Wenn es dir nicht gefällt, dann ist auf der anderen Seite noch Car Men und Bulanow …«
    »Doch, es gefällt mir. Ich habe nur nicht gedacht, daß du klassische Musik magst.«
    »Ich weiß gar nicht, ob ich sie mag oder nicht. Aber manchmal möchte ich so was hören. Das ist reine Musik, wie Medizin. Sie beruhigt, wenn ich durchgedreht bin …«
    »Passiert dir das oft?«
    »Nein«, sie zuckte mit den Schultern. »Aber manchmal schon. Das geht allen so. Du hattest heute, als ich anrief, auch so eine psychotische Stimme. Nicht wahr?«
    Ich nickte.
    »Und weshalb?« fragte sie.
    »Ich habe gestern eine Schuld beglichen … Verstehst du, ein Bekannter ist ermordet worden, und ich hatte Schulden bei ihm, und da bin ich gestern hingegangen und habe seiner Frau das Geld zurückgegeben … Offensichtlich war ich danach nervös, weißt du, ich hatte Angst, dahin zu gehen …«
    Lena nickte verständnisvoll.
    »Vor einem Monat ist meine Freundin umgebracht worden. Ein Besoffener hat sie zu sich geholt … Und sie erdrosselt. Ich hatte mir Bücher von ihr geliehen, ihre Alten hatten eine tolle Bibliothek …
    Aber die bringe ich nicht zurück. Die bleiben bei mir. Es ist furchtbar, wir haben gerade erst ihren achtzehnten Geburtstag gefeiert, die Alten hatten ein tolles Fest spendiert …«
    »Komm, reden wir von was anderem!« bat ich.
    Sie nickte. Sie lächelte wieder.
    »Gieß ein!« kommandierte sie.
    Der Sekt neigte sich dem Ende zu, aber ich hatte noch eine Flasche ungarischen Sliwowitz, und das gab uns die Gewißheit, daß mit dem Verschwinden des Sekts das Fest noch nicht vorbei war.
    »Auf was trinken wir?« fragte ich, als ich das Glas wieder hochhielt.
    »Auf uns!« sagte Lena wieder.
    »Das hatten wir schon.«
    »Das Gute soll man wiederholen«, sie sah mir in die Augen und lächelte wieder, aber dieses Mal war ihr Lächeln hart und selbstsicher.
    Schlafen gingen wir erst lange nach Mitternacht und schliefen sicher erst gegen Morgen ein. Meine Energie, die mich seit dem Morgen so aufgewühlt hatte,

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