Ein Freund des Verblichenen
konnte sich endlich entladen. Aber Lena hatte nicht weniger Energie, vielleicht sogar noch mehr, denn gegen Morgen, als meine Hände von den Umarmungen und Liebkosungen müde waren, streichelte sie mich immer weiter, und ihre Lippen berührten zärtlich meine Schultern und meinen Hals. Und ich lag unbeweglich da, als sei ich ganz und gar von ihr besiegt.
27
Vor dem Fenster lag der Dezember, mit knirschendem Schnee. Sein kalter Atem drang durch die offene Fensterluke und ließ frische Luft in meine Wohnung strömen.
Lena wirtschaftete schon den dritten Tag bei mir, und es gefiel uns beiden, wenn auch sicher jedem auf andere Weise. Nur von Zeit zu Zeit dachte ich wieder daran, und ich grämte mich deshalb, daß diese unsere seligen, glücklichen Momente schon mehr als einmal plötzlich unterbrochen worden waren und ich wieder allein in der Wohnung geblieben war, die noch ganz erfüllt war von ihrem Atem. Und während ich noch ihren Atem spürte, sie aber nicht mehr sah, begann sich die Einsamkeit in meiner Seele zu steigern, und ich strich hoffnungsvoll um das schweigende Telefon, als wenn ich von ihm Hilfe zu erwarten hätte. Ich bemühte mich, diese Gedanken zu verscheuchen, ich verbot ihnen, mein Fest zu verderben, obwohl dieses Fest ja nicht nur meins war. Es war unser Fest.
Ich beobachtete Lena und begriff, daß ihr unsere mehrtägigen Illusionen eines gemeinsamen Lebens nicht weniger gefielen als mir. Mehrmals am Tag legte ich den Corelli auf. Nein. Lena war nicht hysterisch durchgedreht und brauchte die beruhigende Wirkung dieser Musik nicht. Die zärtlichen Geigen paßten einfach sehr gut zu dieser Atmosphäre, in der wir beide die Gegenwart des anderen genossen. Bei einer solchen Musik fiel es leichter, die lästigen Gedanken über die Flüchtigkeit und die Unbeständigkeit dieser glücklichen Momente zu verdrängen.
Ich hatte schon begriffen, was ich wollte: eine banale Beständigkeit. Um ein ständiges Glücksgefühl zu haben, brauchte ich die Gemeinsamkeit mit einer Frau. Das gab es zwar in unserer Beziehung, aber der mir unbekannte Zeitplan ihres Lebens zerstörte die Idylle. Vielleicht waren unsere Begegnungen für sie wie ein Narkotikum, das ihr half, die mir unbekannten Momente ihres Lebens auszuhalten.
Ich wollte es nicht, ich hatte Angst davor, sie um mehr zu bitten. Ich mußte einfach eine Beschäftigung finden, die mich in ihrer zeitweiligen Abwesenheit ablenkte. Denn ihre Abwesenheit war ja wirklich nur zeitweilig!
»Zum Abendessen gibt es Pommes frites!« verkündete sie fröhlich.
Und sie sah aus dem Fenster.
»Es ist Winter, und die Bauern feiern!« drang ihre dünne Stimme aus der Küche. »He, hörst du mir zu?«
»Ja«, antwortete ich.
»Als wir Nekrassow in der Schule durchnahmen, dachte ich, daß es die Bauern in der Zarenzeit gar nicht so schlecht hatten. Im Winter haben sie sich
erholt. Es ist Winter, und die Bauern feiern …«
Ich ging in die Küche.
»Die Bauern haben es dir angetan!« lachte ich.
»Na, stell dir doch nur vor – ein Häuschen auf dem Land, aus dem Schornstein auf dem Dach quillt der Rauch, drinnen ist es warm, und wir trinken Tee mit Erdbeerkonfitüre …«
»Nur meine Mascha und ich am Samowar« , begann ich zu singen und seufzte.
Das Telefon klingelte. Ich war erstaunt. Lena war hier, wer könnte denn sonst noch anrufen? Dima vielleicht?
»Hallo, guten Tag, kann ich Tolja sprechen?«
»Ich bin am Apparat«, sagte ich.
»Entschuldigen Sie, daß ich Sie störe … Hier ist Marina, erinnern Sie sich, Sie waren vor kurzem bei mir … ich bin Kostjas Frau …«
»Ja, ja«, sagte ich.
»Verstehen Sie … es ist mir sehr peinlich, daß ich Sie um etwas bitten muß, aber ich habe sonst niemanden. Könnten Sie heute um sechs zu mir kommen?«
»Ich denke schon«, antwortete ich vorsichtig. »Was kann ich für Sie tun?«
Marina stockte, ich hörte sie atmen und wartete geduldig – offensichtlich suchte sie nach Worten. Ich erinnerte mich an unser Gespräch in ihrer Küche, an die langen Pausen, die manchmal jedes Wort in einen einzelnen Satz zu verwandeln schienen.
»Ich muß heute unbedingt etwas erledigen … etwa zwei Stunden dauert das … und ich weiß nicht, wo ich Mischa lassen soll …«
»Ah!« rief ich erstaunt aus.
»Hätten Sie Zeit?« hörte ich ihre ängstlich erwartungsvolle Stimme.
»Ja, ja«, sagte ich und nickte. »Um sechs.«
»Vielen, vielen Dank …«, seufzte sie erleichtert.
Ich legte den Hörer auf, blieb aber, erstaunt
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