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Ein Freund des Verblichenen

Ein Freund des Verblichenen

Titel: Ein Freund des Verblichenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Käse, Wurst, aber es gab nichts zum Aufwärmen. Marina kochte anscheinend nicht sehr oft für sich selbst.
    Nachdem der Teekessel gekocht und ich mir zwei Schnitten gemacht hatte, setzte ich mich wieder auf meinen Platz rechts vom Fenster. Das Telefon klingelte, ich ging auf den Flur und nahm den Hörer ab.
    »Hallo, hallo …«, sagte ich, hörte aber nur ein Atmen als Antwort.
    Ich legte den Hörer wieder auf und kehrte an meinen Tisch zurück. Sicher hatte derjenige, der angerufen hatte, gedacht, er hätte sich verwählt, als er meine Stimme hörte.
    Und ich trank weiter Tee, der so wunderbar und unmerklich die Zeit totschlug.
    Es verging noch eine halbe Stunde, und ich beugte mich wieder über das Kind mit der warmen Flasche mit irgendeinem Milchgetränk in der Hand. Aber das Kind schlief noch, und ich beschloß, es nicht zu wecken. Statt dessen rief ich bei mir zu Hause an und fragte Lena, was ich tun sollte.
    »Das wichtigste ist – reg dich nicht auf!« sagte sie. »Er will jetzt eben einfach lieber schlafen als was trinken. Wenn er wirklich Hunger hat, dann hörst du das schon. Apropos, die Kartoffeln habe ich schon geschält.«
    »Sie müßte in einer halben Stunde hier sein, und dann komme ich sofort nach Hause!«
    Und erneut herrschte Stille.
    Die Zeit verging wieder langsamer, und ich spürte eine Verärgerung in mir hochsteigen. Anscheinend war es die Stille, die mich reizte. Sie war hier die Herrin, und daß ich sie nicht störte, zeigte nur meinen Gehorsam. Obwohl alles so schön hinter der Maske des Friedens versteckt war, hinter der Furcht, den Schlaf des Kindes zu stören, das schon längst hätte Hunger haben sollen und wie eine kleine Katze jammern. Aber es schwieg, als wenn auch es sich dieser Stille unterordnete.
    Ich beugte mich wieder über das Kind, berührte mit meinem Finger die warme, leicht feuchte Wange, aber das Kind schlief. Ich betrachtete sein Miniaturgesichtchen, das noch keine Falten und Linien aufwies. Wem wird er ähnlich sehen? Wem ähnelt er jetzt? In diesem Alter, sagt man, gleicht ein Kind dem anderen …
    Aber ich begann plötzlich im Zimmer nach einem Foto von Kostja zu suchen, ich wollte in Ruhe sein Gesicht betrachten und es mit dem des Kindes vergleichen.
    Irgendwo hier mußte doch eine Fotografie mit einem schwarzen Trauerstreifen an der Ecke hängen. Die Stelle für das Siegel des Todes. Aber ich sah mich um und konnte kein Foto entdecken … Überhaupt hingen nirgends Fotografien, selbst auf dem Bücherbrett der Anrichte standen nur Bücher … Vielleicht hatte sie alle Fotos weggeräumt, um sich von der Vergangenheit abzulenken? Aber sicher stand oder lag im Schlafzimmer auf dem Nachttisch ein Foto.
    Ich betrat vorsichtig das Schlafzimmer, knipste das Licht an und sah ein breites Holzbett, einen Nachttisch, auf dem ein Radio stand, einen kleinen Wecker, einen runden Spiegel, daneben einen Packen Zeitschriften, obendrauf eine ›Burda‹, auf dem Kopfkissen lag ein Buch, aus dem ein Brief herausragte, der als Lesezeichen diente.
    Ich ging näher heran, weil ich neugierig war, was sie abends las. Heinrich Böll, Haus ohne Hüter. Du lieber Gott! Ist das nicht idiotisch, dieses Buch zu lesen und gleichzeitig alle Fotos des ermordeten Mannes zu verstecken? Ich schüttelte den Kopf und erinnerte mich plötzlich an die Zeit. Der Wecker auf dem Nachttisch zeigte schon fünf nach acht. Ich machte das Licht im Schlafzimmer aus und kehrte in das Zimmer zurück.
    Das Kind schlief immer noch, und das machte mich wütend. Aber es war ja egal, gleich würde sie zurücckommen und sich selber um den Kleinen kümmern. Und ich würde nach Hause fahren und Pommes frites essen. Ich hatte schon wieder Hunger.
    Ich setzte mich auf den Stuhl und ertrug die Stille nur, um das Knirschen des Schlüssels in der Eingangstür und das leise Knarren der aufgehenden Tür zu hören.
    Aber der Wecker auf dem Fernseher tickte weiter Minute für Minute, und kein anderer Laut unterbrach die Stille. Allmählich wurde ich wild. Mir schien, das Kind täte nur so, als ob es schliefe. Es haßte mich einfach und wollte aus meinen Händen nichts nehmen. Natürlich war das Unsinn. Solange ein Kind so klein ist, ist ihm völlig egal, wer ihm was zu essen gibt. Hauptsache, es gibt was. Und ich beruhigte mich für ein paar Minuten, aber der nächste Blick auf die Uhr brachte mich wieder zur Raserei. Schon zwanzig Minuten nach acht. Ich könnte jetzt schon fast zu Hause sein …
    Ich ging auf den Flur. Ich rief

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