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Ein Freund des Verblichenen

Ein Freund des Verblichenen

Titel: Ein Freund des Verblichenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Schuld abzutragen. Ich stritt lange und undeutlich, und auch der Streit glich an sich mehr einem betrunkenen inneren Gemurmel.
    In einem Moment, in dem ich besonders tief in meine Gedanken versunken war, drang das mechanische Geräusch des Türschlosses, das geöffnet wurde, zu mir herüber. Die Tür knarrte, und ich zuckte zusammen. Marina guckte zur Küche herein. Sie sah sehr besorgt aus.
    »Um Himmels willen, entschuldigen Sie! Es hat sich so ergeben …«
    Seltsamerweise empfand ich keinerlei Groll ihr gegenüber. Ich stand vom Tisch auf. Mein Blick fiel von ganz allein auf die Wanduhr.
    Halb eins in der Nacht!
    »Er hat nichts gegessen …«, sagte ich. »Überhaupt nichts … Ich gehe dann«, und ich sah wieder auf die Uhr, aber jetzt mit Unglauben und in der Hoffnung, daß sie falsch ginge.
    »Er hat sich sicher vor Ihnen erschreckt. Daran habe ich nicht gedacht … Er hat ja außer mir noch niemanden gesehen … Wie kommen Sie so spät nach Hause? … Ich bin auch mit dem Taxi gekommen … eine halbe Stunde habe ich auf den Autobus gewartet … ich bin fast erfroren …«
    ›Na was denn, soll ich etwa hierbleiben?!‹ dachte ich, als ich zum Kleiderhaken ging.
    Beim Hinausgehen hörte ich noch einige schuldbewußte »Dankeschön« und »Entschuldigen Sie!«. Ich verabschiedete mich trocken.
    Draußen war es kalt und menschenleer. Ich ging die Straße hinunter und streckte jedes Mal voller Hoffnung den Arm aus, wenn ein Auto vorbeifuhr. Aber die seltenen Autos fuhren vorüber.
    Gegen zwei Uhr war ich zu Hause.
    Lena schlief schon. Als ich mich hinlegte, hörte ich ihr verschlafenes Murmeln: »Mein Gott, du bist ja ganz kalt!«

29
    Ich wachte spät auf, gegen elf Uhr. Ich lauschte auf die Stille in der Wohnung und begriff, daß ich wieder allein war. Die nächste Pause in unserer Beziehung war eingetreten. Wie lange sie wohl dauern würde: die übliche Woche oder länger?
    Dieses Mal war unser Zusammensein zu kurz, insgesamt nur vier Tage, und ich überlegte, ob sie wegen meiner späten Rücckehr so früh weggelaufen war, ohne mich zu wecken oder abzuwarten, daß ich aufwache. Wegen eines nicht zustande gekommenen gemeinsamen Abendessens mit Pommes frites beleidigt zu sein, wäre allzu kindisch, um so mehr als sie wußte, wo ich war und was ich da machte. Aber sie war ja überhaupt noch ein Kind, mit allen sich daraus ergebenden Launen und liebenswerten Grillen. Und genau das, ihre Kindlichkeit, gefiel mir so an ihr.
    In der Küche fand ich einen noch warmen Teekessel vor. Ich starrte auf den Tisch und hoffte vergeblich, wenigstens einen Zettel zu finden.
    Aber an all dem war eigentlich nichts Erstaunliches. Ich kannte Lena schon sehr gut. Völlig idiotisch, von ihr Zettel oder Briefe zu erwarten, ihr fehlte jedes Gefühl für romantische, sentimentale Bindungen. Der Wille, die Entschiedenheit und die Leidenschaft machten ihren Charakter aus. Irgendwann würde sie sicher für einen willensschwachen Mann eine ideale Frau werden. Und sie würde ihn nur deshalb ertragen, weil sie nach kurzen und stürmischen Liebesgeschichten irgendwohin nach Hause zurücckehren wollte. Aber bis dahin … Aber bis dahin blieb ich wieder allein, mußte warten, ganz und gar abhängig von ihrem Leben, über dessen Ablauf ich überhaupt nichts wußte. Aber an diesem Morgen fühlte ich mich durch ihr unerwartetes Verschwinden nicht allzusehr verletzt. Ich war noch ganz erfüllt von ihrer Liebe, ihren Küssen, ihrer Leidenschaft. Mich beruhigte das Gefühl einer eigentümlichen Sattheit.
    Ich beschloß, diesen Tag sehr langsam anzugehen, nirgendwohin zu gehen. Für den Anfang ließ ich mir warmes Wasser in die Badewanne und stellte den Teekessel auf.
    Es vergingen einige Tage, und ich bemerkte zu meiner Freude, daß mich die Einsamkeit nicht mehr so quälte wie früher. Nein, mein Leben war nicht abwechslungsreicher geworden. Ich ließ wie gewohnt die übliche Stille vorübergehen, da ich ja wußte, was darauf folgte. Aber ich war auch nicht verdrießlich. Als ich eines Abends bei einer Tasse Tee in der Küche saß, dachte ich, daß ich wohl schon selber ein ›Pawlowscher Hund‹ war. Nur, daß anstelle des Professors Pawlow Lena stand, die mir unmerklich beibrachte, wie ich auf ihren Anruf zu warten hatte. Vielleicht dachte sie gar nicht dran, vielleicht war das eben einfach so. Aber ich spürte plötzlich in einem Moment ganz klar, daß in unserer Beziehung irgend etwas zwanghaft Experimentelles lag. Und ich hatte tatsächlich

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